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14.–16.6.1988: Aktenvermerk Gesandter Sucharipa
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Dok. 23
Zur Integrationspolitik stellte Honecker fest, dass auch die DDR auf dem Weg
zu einem neuen Verhältnis zur EG wäre (Verabschiedung der Erklärung EG-
RGW,17 damit im Zusammenhang stehende Aufnahme der diplomatischen Be-
ziehungen zwischen der DDR und den EG und Entsendung eines Botschafters
zu den EG). Wesentlich wäre, dass in der zukünftigen Entwicklung bestehende
Handelshemmnisse abgebaut und nicht neue aufgebaut werden. Honecker kam
hiebei deutlich auf die COCOM-Bestimmungen18 zu sprechen, die nur zu neuen
Hemmnissen führen und Mißtrauen aufbauen könnten.19
Bei einem kurzen von Honecker gegebenen Resümee der bilateralen Bezie-
hungen der DDR zu anderen Staaten, trat das deutliche Bestreben zutage, durch
eine forcierte Entwicklung der Beziehungen mit Frankreich aber auch etwa den
Niederlanden und Belgien, eine Art Gegengewicht zu den deutsch-deutschen Be-
ziehungen zu schaffen. Was das Verhältnis zur BRD anlange, habe sein Besuch20
positive Resultate erbracht; es gebe aber auch weiterhin retardierende Elemente in
der BRD; die DDR wäre jedoch jedenfalls an einer positiven Weiterentwicklung
interessiert und bereit, an diesem Ziel konstruktiv zu arbeiten.21
Der gegenständliche Besuch hat insgesamt die weitere Trag- und Ausbaufähig-
keit der auf gegenseitigem Vertrauen beruhenden bilateralen Beziehungen insbe-
sondere auf wirtschaftlichem Gebiet bestätigt.
Wien, am 17. Juni 1988
Sucharipa m. p.
(Protokoll Nr. 25/88), SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/3138, Bl. 94–107. Trotz Widerstandes
im Beamtenapparat des Wirtschaftsministeriums wurden (vorbehaltlich der Bestätigung des
österreichischen Parlaments) mit Anfang 1990 wirksam werdende Zollsenkungen zugesagt.
Die Einfuhrzölle für Erzeugnisse des industriell-gewerblichen Sektors sollten um 50 Prozent
der Differenz zwischen dem EG-Außenzolltarif und dem jeweiligen österreichischen Zoll-
satz gesenkt werden. „Dadurch können Mehrerlöse bzw. Preisvorteile in Höhe von ca. 4,5
Mio VM erzielt werden.“ Information, gez. Beil, Berlin, 16. Dezember 1988, SAPMO-BArch,
DY 30/2987 (Büro Mittag), Bl. 304. Dazu ausführlicher Graf, Österreich und die DDR, S. 561
und 567.
17 Am 25. Juni 1988 unterzeichneten die EG sowie der RGW eine gemeinsame Erklärung, die die
Aufnahme von offiziellen Beziehungen zum Ziel hatte: Gemeinsame Erklärung für die Auf-
nahme offizieller Beziehungen und wirtschaftlicher Zusammenarbeit zwischen der EG und
dem RGW, in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. L 157/35 vom 24. Juni 1988.
18 COCOM =
Coordinating Committee on Multilateral Export Controls (dt. Koordinationsaus-
schuss für multilaterale Ausfuhrkontrollen; ursprünglich Coordinating Committee for East
West Trade Policy, gegründet am 22. November 1949 und aktiv ab 1. Januar 1950 im Rahmen
der Organization for European Economic Cooperation (OEEC) und der US-amerikanischen
Osteuropa-Politik, verfolgte drei Stoßrichtungen: die Erstellung von Verbotslisten betreffend
in den Osten auszuführende Güter, Konsultationen zur Aktualisierung für neueste Tech-
nologien und Konferenzen zur Kontrolle der Wirksamkeit der Handelsembargos und -li-
mitierungen, Vor dem Hintergrund der verschlechterten internationalen Lage erfuhren die
COCOM-Bestimmungen auf Betreiben der USA Anfang der 1980er-Jahre eine Verschärfung.
19 Im Dokument handschriftliche Randnotiz: III.2.
20 Erich Honecker besuchte vom 7. bis 11. September 1987 die Bundesrepublik. Siehe Dok. 9 und 10.
21 Im Dokument handschriftliche Randnotiz: II.1.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99