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21.6.1989: Bericht Gesandter Loibl Dok. 43
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Dok. 43: Bericht. Gorbatschows BRD-Besuch aus Sicht des deutschen
Bundeskanzleramts, 21.6.1989
Gesandter Wolfgang Loibl an BMAA, Bonn, 21. Juni 1989, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1989, GZ. 225.01.01/21-II.1/891
BRD; Bewertung des Gorbatschow-Besuches aus dem Bundeskanzleramt (Info)
Dem 2. Außenpolitischen Berater des Bundeskanzlers2 zufolge enthalte „gemein-
same Erklärung“3 eine in dieser Klarheit bisher nicht gehörte Absage an Bresch-
njew-Doktrin. Beachtlich sei auch, dass Gorbatschow klar einen Strich unter
die Nachkriegsperiode gezogen habe. Gorbatschow verstehe die grundlegenden
geopolitischen Tatsachen und akzeptiere, dass die SU nicht die BRD aus ihren
Bündnisverpflichtungen lösen könne. Alle Formulierungen in der Erklärung hin-
sichtlich europäischer Friedensordnung oder „Gemeinsames Europäisches Haus“
stimmten voll mit NATO-Gipfeldokument überein.
Bundesrepublik wollte durch Erklärung größtmögliche Anzahl gemeinsamer
grundlegender Standpunkte in internationalen Beziehungen festschreiben: dies
sei stabilisierender Faktor in einer Zeit rascher Wandlung, die nicht nur Mög-
lichkeiten, sondern auch Risiken bringe. Gorbatschow habe in ähnlicher Weise
wie Bush die BRD als Partner in führender Verantwortung gesehen, was beson-
dere Verantwortung bedeute. Die von Bonn als Vorreiter im eigenen Bündnis
betriebene Ostpolitik dürfe nicht zu Befürchtungen eines Sonderwegs oder rein
deutscher Interessen führen. Gorbatschow habe die europäische Rolle der USA
und Kanadas anerkannt, und die Westeuropäer müssten nun ebenfalls den Platz
der SU in Europa (dessen Grenzen nicht vom Atlantik zum Bug gingen) anerken-
nen. Gesprächspartner bezeichneten Äußerungen des CDU-Fraktionsvorsitzen-
den Dregger4 über ein „Zwischeneuropa von Polen bis Portugal“5 als verantwor-
1 Der Bericht erging als Fernschreiben Nr. 25128 an das BMAA und war an die Sektion II, das
Generalsekretariat und das Kabinett des Bundesministers gerichtet. Die Berichterstattung
erfolgte im Verfolg des (nicht archivierten) Fernschreibens Nr. 25125 vom 16. Juni 1989. Der
Bericht wurde am 12. Juni 1989 in der Abteilung II.1 in Bearbeitung genommen und an die
österreichischen Vertretungsbehörden in Ausland gemäß Liste „KSZE“ zirkuliert. Die Unter-
streichungen erfolgten handschriftlich in der Abteilung II.1, vermutlich durch Legationsrat
Marius Calligaris.
2 Peter Hartmann, Ministerialdirigent. Leiter der Gruppe 21 (Auswärtiges Amt) im Bundes-
kanzleramt (1987–1991), siehe Personenregister mit Funktionsangaben.
3 Siehe Dok. 41, Anm. 3.
4 Alfred Dregger, Vorsitzender der CDU / CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag (1982–1991),
siehe Personenregister mit Funktionsangaben.
5 Es handelt sich um eine implizite Übernahme der Paneuropa-Konzeption von Richard Cou-
denhove-Kalergi (1923), der ein Europa von Portugal bis Polen propagiert hatte. Dregger
verwendete dies immer wieder. So beispielsweise auch am 8. November 1989 im deutschen
Bundestag: „Die Zukunft der Welt hängt davon ab, daß die Sowjetunion im Osten, die Ver-
einigten Staaten von Amerika im Westen und das Vereinigte Europa in der Mitte, von Polen
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99