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21.6.1989: Bericht Gesandter Loibl
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Dok. 43
tungslos, die SU würde niemals eine derartige Supermacht an ihrer Westgrenze
tolerieren. Derartige politische Signale unmittelbar nach Gorbatschow ausdrück-
licher Anerkennung der Rolle von USA und Kanada in Europa seien eine gewaltige
politische Dummheit. Auch ohne derartigen Erklärungen hätten darüber hinaus
die amerikanischen think tanks bereits genug mit Studien über die deutsche Frage
und die angeblichen großeuropäischen Ambitionen der Deutschen zu tun!
Nicht zuletzt deswegen spricht Genscher in jüngster Zeit (auch in Gemein-
samer Erklärung)6 nicht mehr von Teilung, sondern von Trennung Europas –
Gedanken an deutsche Wiedervereinigung sollen auch sprachlich gedämpft werden.
Unveränderte SU-Haltung hinsichtlich Berlins sowie in der deutschen Frage
waren in Bonn erwartet. Diesbezüglich habe es vor dem Besuch lt. sowjetischer
Bemerkungen einige Unruhe in Ost-Berlin gegeben. Moskau wollte jedoch keine
Probleme mit der DDR-Führung schaffen oder innenpolitische Folgen in DDR
auslösen. BKA-Vertreter sah keinerlei Anlass zu irgendeiner Euphorie, deutsche
Frage sei allerdings in Moskau nicht mehr ein Tabu.
Bilateral sei sowjetisches Interesse in erster Linie wirtschaftlich gewesen. Seit
Kohls Moskau-Besuch wurden insgesamt 17 Abkommen7 unterzeichnet, was
breite Grundlage für weitere Arbeit bilde. Jedoch bedürfe es nüchterner Beurtei-
lungen: beträchtliche Handelsexpansion sei innerhalb der nächsten 2 bis 3 Jahre
bis Portugal, eine gesamteuropäische Friedensordnung vereinbaren, die auf den Menschen-
rechten und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker beruht.“ Texte zur Deutschlandpolitik
III/7 – 1989, S. 358.
6 Die angesprochene Passage der „Gemeinsamen Erklärung“ unter Punkt II lautete: „Bei der
Gestaltung einer friedlichen Zukunft kommt Europa eine herausragende Rolle zu. Trotz jahr-
zehntelanger Trennung des Kontinents ist das Bewusstsein der europäischen Identität und
Gemeinsamkeit lebendig geblieben und wird zunehmend stärker. Dieser Prozess muss geför-
dert werden.“ Vgl. auch Dok. 41, Anm. 3.
7 Unterzeichnet wurden der „Vertrag über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Ka-
pitalanlagen“, das „Abkommen über die Errichtung und die Tätigkeit von Kulturzentren der
Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR“, das „Abkommen über eine vertiefte Zusam-
menarbeit in der Aus- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften der Wirtschaft“,
„Abkommen in den Bereichen von Wissenschaft und Hochschulen“, das „Abkommen über
einen Schüler- und Lehreraustausch im Rahmen von Schulpartnerschaften“, ein „Abkommen
über Jugendaustausch“, das Abkommen über die Förderung der Fortbildung von Fachkräften
auf den Gebieten des Arbeitsschutzes und der beruflichen Rehabilitation Behinderter“, ein
„Abkommen über die Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Mißbrauch von Sucht- und
psychotropen Stoffen und deren unerlaubten Verkehr“, das „Abkommen über die Einrich-
tung einer direkten Nachrichtenverbindung zwischen dem Bundeskanzleramt in Bonn und
dem Kreml in Moskau“, ein „Ergänzender Notenwechsel nach Artikel 5 des Abkommens vom
25. Oktober 1988 über die frühzeitige Benachrichtigung bei einem nuklearen Unfall und den
Informationsaustausch über Kernanlagen“ und es erfolgte der „Abschluß der Verhandlungen
mit dem Ziel der Rückführung des Stadtarchivs von Reval / Tallinn und der Hansearchive von
Bremen, Hamburg, Lübeck an die jeweiligen Ursprungsorte“. Vgl dazu: Presse und Informa-
tionsamt der Bundesregierung, 12. Juni 1989, Informationen zu den am Dienstag, dem 13. Juni
1989 zu unterzeichnenden Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der UdSSR (= Beilage A zu:) Geschäftsträger a.i. Wolfgang Loibl an BMAA, Bonn, 16. Juni
1989, Zl. 239-Red/89, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1989, GZ. 225.01.01/19-II.1/89.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99