Page - 282 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
Image of the Page - 282 -
Text of the Page - 282 -
13./14.7.1989: Aktenvermerk Gesandter Sucharipa
282
Dok. 48
prägt sein. (Von sowjetischer Seite wurde die österreichische EG-Integrations-
politik in den Arbeitsgesprächen nicht angesprochen; BB ging auf diesen Punkt
dem HSL gegenüber lediglich in einer – improvisierten – Tischrede ein; siehe
Beilage.26 Zu BBs diesbezüglichen Ausführungen dem HGS27 gegenüber wird auf
AV Zl. 225.02.01/8-II.3/8928 verwiesen.)
26 In seiner Tischrede vom 14. Juli 1989 ließ sich Botschafter Bondarenko „etwa wie folgt verneh-
men“: „In unseren Gesprächen wollen wir eine gewisse Besorgnis nicht verheimlichen über eine
mögliche Alternative, die Österreich nunmehr in seinen Beziehungen zu den EG einschlägt.
Diese Besorgnis entspricht nicht einem Misstrauen, sondern ist Ausdruck unseres sehnlichen
Wunsches, dass Österreich als politisch und wirtschaftlich unabhängiger Staat fortbesteht, als
blühendes Staatswesen und als Staat mit eigener Stimme in internat. Angelegenheiten.
Die Neutralität Österreichs ist nicht nur seine nationale Priorität, sondern entspricht auch
den wichtigsten gesamteuropäischen Interessen. Es stimmt, dass ganz Europa in Bewegung
geraten ist, es ist aber zu früh, davon zu sprechen, dass die neutralen Staaten schon heute ihre
Rolle ausgespielt haben. Die Geschichte wird die neutralen Staaten nicht von ihrer Verant-
wortung befreien. Wir hoffen, dass Österreich nicht auf das riesige Kapital seiner Neutralität
verzichtet, ohne dass nicht nur Österreich sondern auch Europa ärmer wäre.“
27 HGS = Herr Generalsekretär, Thomas Klestil, Generalsekretär für auswärtige Angelegenhei-
ten im Außenministerium Österreichs (1987–1992), siehe Personenregister mit Funktions-
angaben.
28 Dort wurden Bondarenkos Ausführungen nach den Darlegungen Klestils zur österreichischen
EG-Politik wie folgt subsummiert: „Die Sowjetunion bitte[t] darum, ihr zu glauben, daß sie
Österreich vom Herzen wünsche, seine Interessen möglichst effizient zu schützen. Auch die
Sowjetunion habe Interesse an einem ökonomisch-gesunden und politisch-konstruktiven
Partner Österreich und freue sich über die seit einiger Zeit so guten österreichischen Wirt-
schaftsdaten. Die Sowjetunion sei aus langjähriger Erfahrung überzeugt, daß es für Österreich
und Gesamteuropa nicht unwichtig wäre, neben diesem wirtschaftlichem Potential auch jenes
Kapital zu erhalten, das Österreich sich mit seiner Politik der aktiven Neutralität erworben
habe. In diesem Sinne nehme Österreich aktiv an gesamteuropäischen Prozessen teil. Europa
werde noch lange Zeit diese nützliche Tätigkeit der Neutralen benötigen. Die Sowjetunion
bitte[t] daher Österreich, diese wichtige Rolle der Neutralität nicht zu vergessen. Jeder müsse
‚sein Kreuz tragen‘. Nur bei gegenseitigem Vertrauen können Erfolge erzielt werden. […] Bot-
schafter Bondarenko stellte hierzu fest, es gehe nicht um die Entwicklung einer Formel, die
angewendet werden könne oder nicht, sondern um ganz reale Dinge. Die Sowjetunion spreche
über dieses Thema auch mit den anderen neutralen Staaten und manche dieser Staaten haben
diesbezüglich auch gegenüber der Sowjetunion die Gesprächsinitiative ergriffen. Diese ande-
ren neutralen Staaten meinten, daß es in der Praxis unmöglich wäre, eine Politik der Neutra-
lität in bisheriger Form und Umfang als EG-Mitglied fortzuführen. Zu diesem Schluß kamen
sie auf Grund einer Analyse des Wesens und der Tätigkeit der EG. Schon jetzt würden sich
entsprechende Tendenzen für die zukünftige Entwicklung der EG abzeichnen. Deshalb bevor-
zugten es diese neutralen Staaten, ihre Neutralitätspolitik beizubehalten und sie nicht durch
einen EG-Beitritt in Frage zu stellen. Sie meinten vielmehr, daß es viele andere Möglichkeiten
gebe, einschließlich des Weges über die EFTA um ihre ökonomischen Interessen zu schützen.
Sicher gebe es Unterschiede zwischen den neutralen Staaten, aber Österreich wäre doch in
keiner schlechteren Lage. […] Abschließend stellte Botschafter Bondarenko nochmals fest,
daß man hinsichtlich der EG eine Tendenz sehe zu stärkerer politischer und militärpolitischer
Tätigkeit; diese müsse man aufmerksam beachten.“ Aktenvermerk, Gegenstand: Österreich
–
Sowjetunion; Vorsprache Botschafter Bondarenkos beim HGS am 14. Juli 1989, Ernst Such-
aripa, Wien, 17. Juli 1989, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1989, GZ. 225.02.01/8-II.3/89.
back to the
book Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit"
Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99