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5.7.1990: Gespräche Vranitzkys mit Mazowiecki und Jaruzelski Dok. 158
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Vor allem gehe es jedoch Polen um Normalisierung der Beziehungen mit der UdSSR
und dem vereinten Deutschland. Die nord-südlich ausgerichtete regionale Zusam-
menarbeit zwischen Ostsee und Adria verstehe Polen als notwendige Ergänzung
der Zusammenarbeit mit der UdSSR und Deutschland. Polen würde versuchen,
seine geopolitische Lage in diesem Sinne zu nützen.
Deutsche Frage: Polen respektiere die Rechte des deutschen Volkes auf Verei-
nigung; in der Bevölkerung seien aber gewisse Befürchtungen nicht aus der Welt
zu schaffen. Im Vereinigungsprozess müßten alle Zweideutigkeiten betreffend die
polnisch-deutsche Grenze geklärt werden. Die Erklärungen der Parlamente der
BRD und der DDR8 seien ein bedeutender Schritt. Polen wünsche jedoch einen
Vertrag, wobei man noch vor der Vereinigung zu Vereinbarungen kommen sollte.
Eine Neutralität Deutschlands betrachte er als nicht realistisch, ja sogar gefähr-
lich. Einer Eingliederung des vereinten Deutschland in die NATO stehe Polen
positiv gegenüber. Mit einem völligen Abzug der sowjetischen Truppen aus der
DDR rechne er in etwa 5 bis 7 Jahren.
Österreich komme auch weiterhin eine wesentliche Rolle bei der Schaffung
eines breiten europäischen Sicherheitssystems zu. Es sei eine Brücke nicht nur
für Diplomaten und Politiker, sondern für die beiden Völker. Er wünsche sich,
daß Polen und Österreich gemeinsam nachdächten, wie die zukünftige europä-
ische Architektur9 ausschauen sollte. Die politische Teilung Europas gehöre der
Vergangenheit an, das heutige Problem sei die wirtschaftliche Teilung Europas.
Eine Verschärfung der ökonomischen Unterschiede halte er für gefährlich. Die
in den mitteleuropäischen Staaten um sich greifende Armut sei ein Nährboden
für populistische Tendenzen. Daher sollten die wirtschaftlichen Unterschiede im
Interesse des demokratischen Europa gemeinsam möglichst rasch verringert bzw.
beseitigt werden.
Der HBK unterstrich das große Interesse Österreichs an Polen. Österreich
pflege die internationale Zusammenarbeit und versuche, sie nutzbar zu machen.
Triebfedern seien die westeuropäische Integration und die Umwälzungen im
Osten. Sodann erläuterte er kurz das Beitrittsansuchen Österreichs zur EG und
den möglichen Beitrag Österreichs zur europäischen Integration. Sicherheit sei
nicht nur in militärischen Belangen erwünscht; auch der Schutz der Demokratie,
die Bekämpfung der Probleme im Inneren und Äußeren, der Schutz der Men-
schenrechte sowie der europäischen Sicherheit. Die Integration Europas bedeute
auch eine intensivere Zusammenarbeit mit dem Osten.
Eine institutionelle Verankerung bei der Schaffung eines europäischen Sicher-
heitssystems sei notwendig. Österreich greife Mazowieckis Vorschlag, gemein-
sam Überlegungen anzustellen, gerne auf.10 Zur deutschen Frage meinte er, daß
die Grenzfrage in eindeutiger Weise einer Lösung zugeführt werden müsse. Der
Euro
parat wie andere europäische Institutionen und Gremien würden zu einer
8 Siehe dazu Dok. 141, Anm. 11.
9 Unterstreichung im BMAA.
10 Unterstreichung im BMAA.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99