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5.7.1990: Gespräche Vranitzkys mit Mazowiecki und Jaruzelski Dok. 158
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schen Bundesminister Lacina und VPM Balcerowicz14 in Wien. Intensiviert wer-
den sollten diesbezügliche Überlegungen in multilateralen Gremien; Österreich
könnte auch Gespräche mit anderen Gläubigerstaaten führen. Lösungen könnten
in der Dreiecks-Konstruktion liegen, die beim vorerwähnten Besuch zur Sprache
gekommen sei: 1.) Schuldenkonsolidierung, 2.) Umwandlung von Forderungen
in Beteiligungen (debts-equity-swaps) 3.) Aufbringung neuer Mittel. Der HBK
bezeichnete entsprechende Anstrengungen auf internationaler Ebene als wichtig
und sagte zu, sich in diesem Sinne zu verwenden.
Zur Frage der polnischen Schwarzarbeiter und Schwarzhändler: Der HBK kam
auf die durch die Öffnung im Osten ausgelösten Wanderungs- und Reisebewe-
gungen und die damit für Österreich entstandenen Probleme zu sprechen. Er
verwies auf die neue gesetzliche Situation zugunsten von Fremdarbeitern. Er be-
grüßte die Aufklärungskampagne in Polen, die Zusammenarbeit der zuständigen
Behörden beider Staaten und die polnischerseits ergriffenen Maßnahmen. Die
entstandenen Probleme sollten durch die intensivere Zusammenarbeit Schritt für
Schritt einer Lösung zugeführt werden können. Dies werde wesentlich von den
polnischen Anstrengungen abhängen. Die Wiedereinführung der Sichtvermerks-
pflicht sei die allerletzte Maßnahme in dieser Frage.15
PM Mazowiecki schlug vor, daß Österreich und Polen, ähnlich wie dies zwi-
schen Österreich und Ungarn geschehe, in eine engere Kooperation eintreten und
daß der HBK und er in diesbezüglich engem Kontakt bleiben, um so die durch den
gegenständlichen Besuch gegebenen Impulse für konkrete Ergebnisse vor allem
im wirtschaftlichen Bereich zu nutzen. Der HBK16 stellte Überlegungen zu den
besprochenen Fragen, insbesondere dem Entschuldungsproblem sowie der wirt-
schaftlichen Kooperation zwischen Österreich und Polen in Aussicht. PM Mazo-
wiecki sagte, er sehe einer solchen Stellungnahme mit großem Interesse entgegen
und würde seinerseits dazu sehr rasch Stellung nehmen.17
Resümeeprotokoll der Unterredung des HBK mit Staatspräsident Wojciech Jaruzelski
am 5.7.1990
Anwesend: Staatspräsident Jaruzelski, Staatsminister Czyrek,18 VAM Makarczyk,19
Geschäftsträger Wojtkowski; HBK, Botschafter Wagner, Gesandte Nowotny
14 Leszek Balcerowicz, Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident Polens (1989–
1991), siehe Personenregister mit Funktionsangaben. Balcerowicz hatte Österreich am 28. No-
vember 1989 besucht.
15 Mit der Einführung der Visumspflicht war aufgrund des Vranitzky-Besuches noch zugewar-
tet worden, sie erfolgte schließlich am 5. September 1990.
16 Unterstreichung im BMAA.
17 Unterstreichung im BMAA, das Wort „Stellungnahme“ wurde fett unterstrichen.
18 Józef Czyrek, Staatsminister beim Amt des Präsidenten Wojciech Jaruzelski (August 1989 – De-
zember 1990).
19 Jerzy Makarczyk, Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten Polens (1989–1992), siehe
Personenregister mit Funktionsangaben.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99