Page - 657 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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17.7.1990: Bericht Botschafter Grubmayr und Gesandter Sajdik Dok. 161
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konferenz von Kohl und Gorbatschow wurde nur im Vorabendprogramm ohne
Vorankündigung vom TV direkt übertragen, in der Hauptnachrichtensendung
um 21.00 Uhr gab es hierüber nur kurze Ausschnitte, wobei jedwede Referenz
auf den künftigen militärischen Status des vereinten Deutschland vermieden
wurde.3
Demgegenüber steht das Faktum, dass die TASS bereits in ihrem englischen
Dienst kurz nach 19.00 Uhr die wesentlichen Besuchsergebnisse zusammenfasste.
Lt. sowjet. Nachrichtenagentur war es Kohl, der die 8 Hauptpunkte der gemein-
samen Erklärung bei der Pressekonferenz den Journalisten bekanntgab.
Gorbatschow wird von TASS zur Frage der künftigen NATO-Mitgliedschaft
Deutschlands wie folgt zitiert: „The Soviet Union proceeds from the premise
that a reunited Germany, after it gains full sovereignty upon the termination of
the rights of the four powers, should think everything over within the framework
of newly elected bodies, parliament and government and decide on where it wants
to belong.“
Die Art der Berichterstattung der sowjet. Medien lässt daher den Schluss zu,
dass in den sowjet. Führungsetagen offensichtlich Unschlüssigkeit herrscht, wie
die Konzession im Bezug auf eine NATO-Mitgliedschaft des vereinigten Deutsch-
land der Bevölkerung nahegebracht werden soll, vor allem angesichts der har-
schen Kritik an der sowjet. Außenpolitik im Laufe des Gründungsparteitags der
russischen KP4 sowie des 28. Parteitags der KPdSU.5
5) Solange sowjetische Truppen noch auf dem ehemaligen DDR-Territorium stationiert blei-
ben, werden die NATO-Strukturen nicht auf diesen Teil Deutschlands ausgedehnt. Die
sofortige Anwendung von Artikel fünf und sechs des NATO-Vertrages (wonach jedes
NATO-Mitglied einen Angriff auf einen anderen NATO-Partner als Angriff auf das ge-
samte Bündnis wertet und gemeinsam Gegenmaßnahmen ergriffen werden) bleibt davon
von Anfang an unberührt. Nicht integrierte Verbände der Bundeswehr, das heißt Verbände
der territorialen Verteidigung, können sofort nach der Einigung Deutschlands auf dem Ge-
biet der heutigen DDR und in Berlin stationiert werden.
6) Für die Dauer der Präsenz sowjetischer Truppen auf dem ehemaligen DDR-Territorium
sollen nach der Vereinigung nach unserer Vorstellung die Truppen der drei Westmächte in
West-Berlin verbleiben. Die Bundesregierung wird die drei Westmächte darum ersuchen
und die Stationierung mit den jeweiligen Regierungen vertraglich regeln.
7) Die Bundesregierung erklärt sich bereit, noch in den laufenden Wiener Verhandlungen eine
Verpflichtungserklärung abzugeben, die Streitkräfte eines geeinten Deutschlands inner-
halb von drei bis vier Jahren auf eine Personalstärke von 370 000 Mann zu reduzieren. Die
Reduzierung soll mit dem Inkrafttreten des ersten Wiener Abkommens begonnen werden.
8) Ein geeintes Deutschland wird auf Herstellung, Besitz und Verfügung über ABC-Waffen
verzichten und Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages bleiben.
3 Handschriftliche Notiz Litschauers: ita est!
4 Der Gründungsparteitag der russischen KP, im Zuge dessen Gorbatschow für seine Deutsch-
land- und Außenpolitik stark unter Beschuss geriet, fand vom 19. bis 23. Juni 1990 statt.
5 Der XXVIII. und letzte Parteitag der KPdSU fand vom 2. bis 13. Juli 1990 statt. Auch bei die-
sem parteipolitischen Zusammentreffen war Gorbatschow heftiger Kritik ausgesetzt, ebenso
wie sein Außenminister Schewardnadse.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99