Page - 661 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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18.7.1990: Information Gesandter Plattner Dok. 162
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BK Kohl hat ferner massive Wirtschaftshilfe für die SU zugesagt und in Aus-
sicht gestellt, sich auch bei anderen westlichen Staaten für eine derartige Hilfe
verwenden zu wollen.
Bis Sommer 1991 soll ferner ein deutsch-sowjetischer Vertrag abgeschlossen
werden, der laut BK Kohl Zusammenarbeit auf verschiedensten Gebieten und re-
gelmäßige politische Konsultationen zum Inhalt haben soll.6
Die Reaktionen auf die deutsch-sowjetische Einigung sind weltweit einhellig
positiv (der Fall Ridley in Großbritannien7 zeigt allerdings das Bestehen unter-
schwelliger Reserven gegenüber dem Gewicht des künftigen Gesamtdeutschlands
in einzelnen westeuropäischen Staaten).
Angesichts der in Moskau erzielten Einigung ist die „2+4“-Gesprächsrunde
am 17. Juli in Paris8 unkontroversiell verlaufen. Die Außenminister beschlos-
sen, eine Deutschland-Erklärung auszuarbeiten, in welcher die äußeren Aspekte
6 Gesetz zu dem Vertrag vom 9. November 1990 über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und
Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialisti-
schen Sowjetrepubliken, vgl. BGBl. 1991 II, Nr. 15, 8. Juni 1991. Im Anhang an den Gesetzes-
text ist der Vertragstext zu finden.
7 Am 14. Juli 1990 wurde der britische Secretary of State for Trade and Industry, Nicholas
Ridley, aufgrund eines Interviews in der britischen Zeitschrift The Spectator zum Rücktritt
gezwungen. In diesem Interview hatte er sich dahingehend geäußert, dass es sich bei der Euro-
päischen Wirtschafts- und Währungsunion um eine deutsche Finte mit dem Ziel handle, die
Herrschaft über Europa zu erringen („a German racket designed to take over the whole of
Europe“), weshalb die Übertragung von Souveränitätsrechten auf die Europäische Gemein-
schaft ebenso schlimm sei, als wenn man diese Rechte Adolf Hitler übertrüge. Vgl. Klaus-
Rainer Jackisch, Eisern gegen die Einheit – Margaret Thatcher und die deutsche Wiederver-
einigung, Frankfurt / Main, 2004, S. 205–211. Siehe auch: Botschafter Walter Magrutsch an
BMAA, London, 17. Juli 1990, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1990, GZ. 22.17.14/3-II.1/90. Darin
stand nach Ausführungen zu den Ursachen in ihrer Gesamtheit (insbesondere auch mit Blick
auf die europäische Integration) und dem Faktum, dass Ridley durch Thatcher zum Rücktritt
bewogen wurde u. a. zu lesen: „[…] Gerade hierdurch wird aber die außenpolitische Dimen-
sion der gesamten Affäre noch delikater. Die Annahme und der Verdacht, dass Ridley letzt-
lich nur das gesagt hat, was Thatcher privat und im Grunde ihres Herzens selbst denkt, bleibt
im Raume stehen. Ridleys Auffassungen würden nicht ihrer Meinung und jener des Kabinetts
entsprechen, hinterlässt wenig Überzeugungskraft. Die Art, wie ein sachkompetentes briti-
sches Kabinettsmitglied die EG-Kommission einschätzt, wie es die Haltung Frankreichs sieht
und vor allem wie Bonn attackiert wurde, dürfte daher voraussichtlich bis zum Ende der Re-
gierungszeit Thatchers schwerlich zu vergessen sein. […] Der ‚outburst‘ Ridleys ist zweifellos
nicht von ungefähr gekommen. Er hat nur jahrelang unterschwellig fortdauernde und mit dem
Herannahen eins größeren Deutschland verstärkte Ressentiments schockartig sichtbar wer-
den lassen. […] Das von Brüssel geplante EG-Europa werde unter dem Titel einer Vertiefung
der Integration weniger eine kontrollierte Einbindung Deutschlands, sondern eine Verfesti-
gung der Dominanz des größten Volks mit der größten Wirtschaftskraft in Europa auf lange
Jahre hinaus herbeiführen. Man fühlt sich als der wirtschaftlich Schwächere ohnmächtig
und frustriert, zumal auch der als privilegiert angesehene politische Rückhalt in Washington
immer mehr als unrealistisch erkannt werden muss, was zuletzt wieder der deutsche Einfluss
beim Londoner NATO-Gipfel bestätigt hat […].“ Zu letzterem siehe Dok. 159.
8 Siehe dazu Dok. 166.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99