Page - 693 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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19.9.1990: Aktenvermerk Gesandter Sucharipa Dok. 172
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wirken. Die zwangsläufige Bonner Rücksichtnahme auf eigene Interessen in der
SU dürfte eine Ausgrenzung der SU, die sich immer als europäische Macht ver-
standen hat, aus der neuen europäischen Architektur wesentlich erschweren.
Diese Entwicklung ist grundsätzlich positiv zu beurteilen, weil sie
– eine geord-
nete Weiterführung der sowjetischen Reformpolitik vorausgesetzt – vertrauens-
bildend wirkt und zur Vermeidung neuer (alter) Antagonismen beiträgt.
Aus sowjetischer Sicht ist sie positiv, weil sie gegen das Konzept einer „Festung
Europa“ wirksam ist (vgl. frühere Vorbehalte der SU gegen EG als Instrument des
„Kalten Krieges“).
3) Wirtschaft: Die Sicherung der Partnerschaft mit der bedeutendsten Wirtschafts-
macht Europas hat neben bedeutenden finanziellen Aspekten aus sowjetischer
Sicht weitere positive Konsequenzen: geringere Abhängigkeit vom jeweiligen Ver-
hältnis zu den USA, vermutlich geringere Betonung der „conditionality“ durch
Deutschland, EG-Anbindung.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die SU für aus ihrer Sicht verhältnis-
mäßig geringe (weil mittelfristig praktisch unvermeidliche)
Konzession eine hohe
Abgeltung erhält und gleichzeitig ihre Position in Europa stärkt. Die Aufgabe der
DDR allein bringt bedeutend mehr Wirtschaftshilfe und politischen Good-Will
ein als die Entlassung aller anderen früheren Satellitenstaaten aus der sowjeti-
schen Hegemonie zusammen.
Das Ergebnis ist zu begrüßen, weil es
a) zu einer dauerhaften Verminderung der Spannungen zwischen Ost und West
in Europa einen weiteren wichtigen Beitrag leistet,
b) den österreichischen Vorstellungen über die neue europäische Architektur
grundsätzlich entspricht und
c) Gorbatschow eine (vermutlich letzte) Chance einräumt, die SU – unter der Be-
dingung eines geordneten Übergangs zu Marktwirtschaft und Föderalismus –
weitgehend zusammenzuhalten.
Wien, am 19. September 1990
Sucharipa m. p.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99