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Tunney anzuzĂ€hlen; bei ââneunâ springt Tunney, der sich in den so zusĂ€tzlich
gewonnenen Momenten erholen konnte, aufâ9. In der achten Runde schlĂ€gt er
seinen Gegner nieder; Dempsey steht sofort wieder auf seinen FĂŒĂen. Tunney
gewinnt die zehn Runden nach einstimmiger Punkterichter-Entscheidung; die
siebte Runde war die einzige, die 1927 nicht fĂŒr Tunney, den alten und neuen
Schwergewichtsweltmeister, zÀhlte.
In der Gegenwart des 21. Jahrhunderts ist Boxen ein Sport der Hyperkom-
merzialisierung, medial in Zeitungen, Zeitschriften und TV-Sendern als ein
PhÀnomen leicht durchschaubarer Antagonismen inszeniert, instrumentalisiert
und pathetisch orchestriert. Der Sport mit FĂ€usten, dieser groĂe Symbol- und
Kommunikationsraum aus Zeichen, Praktiken, Worten, Licht-, GerÀusch- und
Architekturelementen, hat sich zu einem geheimnisfernen Feld von GeschÀfts-
tĂŒchtigkeit und Gewinnsucht gewandelt. Hinter dem Flitter und Tand ist, in
blassen Schemen und flĂŒchtigen Konturen, jedoch jene Sprengkraft noch ge-
genwĂ€rtig, die den Sport einst zu einem denkwĂŒrdigen wie massenkulturellen
PhÀnomen des vergangenen Jahrhunderts machten.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden Boxer zu âbeinahe mythischen
Figurenâ10 ĂŒberhöht, zu schematisierten Figurentypen, die, ausgestattet mit
trapezförmigen Körpern, vor VirilitÀt und VitalitÀt geradezu zu beben schei-
nen, inszeniert als Gegenbilder zum Gros der Zeitgenossen, das ziellos und
willensschwach im Morast seiner SehnsĂŒchte und WĂŒnsche stecken geblieben
ist. Als Sportart liefert Boxen, verstanden als geregelt-institutionalisierter, von
hoher Siegorientiertheit geprÀgter und mit gepolsterten FÀusten ausgetragener
Wettkampf zweier Kontrahenten, so einprÀgsame wie konfektionierte Mythen
und stilisierte Denkbilder von Rohheit und Erbarmungslosigkeit, Gewalt und
Tod, hĂ€ufig ĂŒber die Physis definiert, den BoxbĂŒhnen mit ihrem Sportschau-
spiel kontrollierter körperlicher Verausgabung durchaus entsprechend. Boxen
generiert nach dem Ersten Weltkrieg Themen, Anekdoten, AttitĂŒden, Tonla-
gen, Wortassoziationen, Motive, Metaphern, literarische und journalistische
Redeweisen. HÀufig werden diese unter Zuhilfenahme von GegensÀtzen kon-
struiert, die Wahrnehmung erst strukturieren: Körper und Denken, Faust und
Geist, Kraft und Intellekt. Hier Dempsey, der âPantherâ11, der âMĂ€nnertöterâ12,
âEisenhammer Dempsey!â13, The Manassa Mauler, der Knochenhauer aus Ma-
9 Leppmann 1992, S. 244
10 Maase 2007, S. 136
11 Shaw 1981, S. 112
12 Brecht 1993e, S. 381
13 Zech 1956, S. 366
10 | Einleitung
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂŒberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂŒckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und NebenschauplÀtze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten ErzÀhlliteratur 160
- âZeitfigurâ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440