Page - 160 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Spanne die Muskeln, die Bizepse.
Achte ver die Beschwerden.
Nicht einschlafen. Nicht mĂĽde werden!
Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur
Im Gegensatz zu den Vertretern des Unterhaltungsgenres, das deutliche Merk-
male kritiklosen Beharrens auf einer oberflächlich aus Kraft, Kampf und Körper-
mechanisierung gefügten Boxergestalt zeigt, machen die Autoren des ästhetisch
und formal elaborierteren, hochliterarischen Schreibens mit Nachdruck auf jene
Bild- und Ideologieprogramme aufmerksam, die dem Boxen kulturell und ge-
sellschaftlich oktroyiert werden – und die der Sport der Epoche aufzwingt. Die
folgenden Seiten verfolgen daher das Ziel, Boxen als ein bislang von den kriti-
schen Kulturwissenschaften fast gänzlich übersehenes Diskursbündel innerhalb
der Erzählliteratur des frühen 20. Jahrhunderts zu etablieren. Die mit Foucault
angestrebte Analyse des erzählten Boxens, die ohne die diskursive Beimengung
auĂźerliterarischer Implikationen wohl einem theoretischen Nullsummenspiel
gliche, findet nun ihre FortfĂĽhrung innerhalb der elaborierten Literatur, die Bo-
xen – so viel sei vorweggenommen – als ein explizit diskursives Phänomen be-
trachtet, das sozial-, kultur- und individualspezifisch nahezu beliebig aufladbar
scheint. In das Boxen sollen neue, erweiterte Dimensionen eingesenkt werden.
Genaueres wird in diesem Abschnitt präsentiert.
Joachim Ringelnatz stellt 1920 in Der Athlet einen Sportler vor, dessen So-
zialprestige zu verbleichen beginnt. „Mein Name ist Murxis, der Kraftmensch
genannt“1, stellt sich der Protagonist des Poems als Phänotyp einer Epoche vor
und gibt, fast in Form eines Kinderreims, seine Konzepte von Training und
Selbstkonstitution preis: „Meine Nahrung ist Goulasch vom Elefant / In einer
Sauce des Stärkemehles. / Meine Heimat ist das Zentrum Südwales, / Upsala!“2
Murxis wurde – fast möchte man sagen: wie nicht anders zu erwarten war – mit
„Hilfe von Dynamit“3 geboren und war in „allen Städten der Welt / Als Mus-
ter von Herkules ausgestellt“4; sich selbst bezeichnet er als „Venus von Milo. /
Bruttogewicht: 200 Kilo“5. Die dem Sport eingeschriebene Spannung äußert
1 Ringelnatz 1984a, S. 94
2 Ebd.
3 Ebd.
4 Ebd.
5 Ebd.; den turnerischen Korpsgeist karikiert Ringelnatz im Gedicht Klimmzug, Ringelnatz
1984b, S. 85f
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440