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zu boxen.“16 Wolfgang Koeppen hievt 1959 im Reisebericht Amerikafahrt das
Faustkampf-Thema metaphorisch in die Striptease-Kabine17, und Joseph Beuys
ordnet 1972 auf der Weltkunstschau documenta V „Boxen für direkte Demo-
kratie“18 an. Die Siege Muhammad Alis werden zu „großen Kunstwerken“19
erhoben; Boxen wird zugleich in historisch fragwürdiger Analogsetzung mit
militärischem Massensterben auf dem Schlachtfeld in Verbindung gebracht.20
Das Wörterbuch definiert Boxen als „(nach bestimmten Regeln) mit den Fäusten
kämpfen; […] mit der Faust schlagen, (leicht) stoßen; […] sich mit Fäusten
bearbeiten, sich prügeln […]; mit der Faust stoßen […]“21; als übertragene Be-
deutung führt das Nachschlagewerk einzig „er boxte sich durchs Leben“22 an.
Bereits Goethe lässt in seinem Altersspruch Wer in der Weltgeschichte – einem
der ersten Belege für die Verwendung des Wortes „boxen“ in der deutschspra-
chigen Poesie – religiös motivierte Gegner boxerisch aufeinandertreffen.23 Der
hier nachfolgend vorgeschlagene Boxbegriff geht über die lexikalische Wörter-
buch-Definition der Tätigkeit des Boxens hinaus. Im Kern soll Boxen als ein
zwischen zwei trainierten, annähernd gleichgewichtigen Athleten in einem von
Seilen umschnürten Quadrat ausgetragener, durch Regeln und durch einen an-
wesenden Ringrichter geleiteter sportlicher Entscheidungskampf verstanden
werden, in dem unterschiedliche „Techniken, Illusionen, Hoffnungen und struk-
turierte Rollen“24 greifen: Boxen wird nicht nur als evidente körperliche Praxis
aufgefasst, sondern auch als ein diskursiver Behelf und eine spezifische Kultur-
technik, mit deren Hilfe sich die Ambivalenzen der gesellschaftlichen Moderne
ausleuchten lassen. Boxen erschließt auf diese Weise spezifische Formen des
Wissens um Disziplinartechnologien, Körpernormierungen und performative
Strategien; Boxen dient gleichermaßen dem Ausprobieren von inszenatorischen
16 Kafka 1999, S. 63
17 Vgl. Koeppen 1986, S. 347: „Die Entkleidungen geschahen wie in einem Boxring auf einem von
Scheinwerfern angestrahlten Gerüst. Man saß wie in einem Amphitheater um den Ring herum
und in schützender Dunkelheit.“
18 Vgl. Junghanns 1998, S. 58
19 Reemtsma 1997, S. 21
20 Vgl. Podgorski 1971, S. 41
21 Duden 2001, S. 310
22 Ebd.
23 Vgl. Goethe 1974, S. 334; Trunz 1974, S. 654; Heckmann 1996, S. 116 („Das englische Zeitwort
‚to box‘ in der Bedeutung von ‚mit den Fäusten kämpfen‘ ist seit 1694 verbürgt.“), und Elias
1984, S. 10 („Etwa seit 1744 verdrängte die gehobenere Form ‚boxen‘ den älteren Ausdruck ‚ba-
xen‘.“) Im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm findet sich der Goethe-Spruch als
früher Wortbeleg zitiert: „zwei gegner sind es, die sich boxen, / die Arianer und die orthodoxen“,
vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 2 (1860), Spalte 281, Artikel „boxen“
24 Weinberg, Arond 1976, S. 255
34 | Teil
I.
Zeitzeichen
Boxen
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440