Page - 85 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Image of the Page - 85 -
Text of the Page - 85 -
von der Firma Opel übernommen wird.341 Taylors positivistische Betriebsver-
waltung bewirkt, ausgehend von der „wissenschaftlich kontrollierten Normie-
rung von Bewegungen“342, die „Rationalisierung des Körpers zum Zwecke der
Leistungssteigerung“343; Ford zwingt die Körper der Fabrikarbeiter förmlich in
den Dienst einer straff organisierten Maschinerie, mit dem Ziel, den Leib des
Einzelnen maschinengleich zu formen.344 Der Amerikanismus als „Fortschritt
‚sans phrase‘“345 wiederum rückt in den Jahren zwischen den Kriegen zu einem
Sinnbild von Modernität auf, das sich weitestgehend aus Imaginationen und
Projektionen zusammensetzt. Alles, was man in den USA als modern und aufre-
gend feiert, wird in „Deutschland in seltsamer Hörigkeit, mit manischer Begeis-
terung übernommen“346. Rudolf Kayser definiert Amerikanismus als Maxime,
die sich in unterschiedlichen Manifestationen als Neuigkeit und Sensation
zeige: „Trusts, Hochhäuser, Verkehrspolizei, Film, Technikwunder, Jazzband,
Boxen, Magazine und Regie“347; Amerikanismus, jubelt der Autor, folge keinem
abstrakten Ideal, sondern dem Leben. „Amerikanismus ist Schwärmerei für das
Leben.“348 Gemeinsam avancieren Fordismus, Taylorismus und Amerikanismus,
freilich in je unterschiedlichen Mischungsverhältnissen, bald zu Kernkontexten
im erhitzten Meinungsaustausch der von der kriegsbedingten Umwertung der
humanistischen Kulturideale erschütterten Intellektuellen – und zu einer unge-
bremsten wie nahezu kritikbefreiten Feier von Normierung, Standardisierung,
Effizienz, Effektivität, Funktionalismus, Rationalisierung und Realitätssinn. Das
industrielle Zeitalter habe „alles mechanisiert und spezialisiert“349, stellt Egon
Erwin Kisch im Essay Der Sportsmann als Schiedsrichter seiner selbst mit Blick auf
die Alltagsrequisiten Warmwasser und Zentralheizung fest. In den Montage-
hallen der Detroiter Ford-Werke sehen die aus Deutschland angereisten Öko-
nomen „Gentlemen“350 am Werk; die Handgriffe werden von den Arbeitern in
„sportlichem Gemütszustande“351 ausgeübt. In Berlin verirrt sich Eckenpenn auf
seinem ziellosen Marsch durch die Metropole in eine Werkshalle, die idealty-
pisch im Sinne Fords und Taylors organisiert scheint:
341 Vgl. Cowan, Sicks 2005, S. 16
342 Fleig 2008, S. 53
343 Ebd.
344 Vgl. Cowan, Sicks 2005, S. 16
345 Peukert 1987, S. 181
346 Meinhardt 1996, S. 133
347 Kayser 1983, S. 265
348 Ebd.; vgl. Bienert 1992, S. 121f
349 Kisch 1928, S. 7
350 Zit. n. Lethen 2000, S. 21
351 Zit. n. ebd. 85
Haupt-
und
Nebenschauplätze:
Epochensymptom
|
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440