Page - 119 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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tionen, vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die dem Phänomen Boxen mit
Nachdruck neue diskursive Felder zuweist; der allgemeine kulturelle Wandel fin-
det in Romanen und Erzählungen vom Boxen jedoch nur am Rande seinen sym-
bolischen Ausdruck; die Spiegelfigur des Boxers wird interpretiert, kommentiert
und adaptiert: Der Topos wird in der Trivialliteratur nur lose oben
auf das diskur-
sive Zeit- und Mentalitätsgeflecht platziert; erst die avanciertere Literatur sowie
Brecht und Musil werden die Ideenfäden des Boxens in engerem Sinne mit den
diskursiven Verstrickungen der Moderne verknüpfen. Im Trivialgenre sind noch
kaum Verknüpfungspunkte auszumachen. Mit dem Sujet wird in allgemeinem
Kontext eine Spannungsebene erzeugt, die das Interesse der Leserschaft wecken
soll. Foucault, so Achim Geisenhanslüke in Foucault in der Literaturwissenschaft,
lege Wert auf den „theoretischen und methodischen Zuschnitt der Diskursana-
lyse“7 als einer Wissenschaft, die „nicht einzelne Texte zum Gegenstand nimmt,
sondern übergreifende diskursive Formationen“8. Das erklärte Ziel der nachfol-
genden Überlegungen – nämlich mit der an Foucault ausgerichteten Frage nach
den Relationen und Transfers zwischen heterogenen Wissens- und Diskursfel-
dern jene narrativen Formen zu analysieren, die Boxen hervorbringt – verfängt
im Bereich der Trivialliteratur nicht, weil die Kernaussage der Gattung verläss-
lich in die leerlaufende Rhetorik vom Boxer als einer grimmigen Kampfmaschine
mündet. Jene Wissenskomplexe, die mit Boxen interagieren, bleiben dabei ohne
grundlegenden wechselseitigen Zusammenhang; im Unterhaltungsroman box-
sportlicher Prägung wird das Wissensarchiv um den Faustkampf nicht einmal im
Verborgenen wachgerufen: Die Makrostrukturen des Sozialen und Politischen
bleiben ebenso unberücksichtigt wie die Mikroebene der Figurenzeichnungen,
wie auf den kommenden Seiten herauszuarbeiten sein wird. Es werden Athleten
ins Licht der Aufmerksamkeit gestellt, die sich, fern sozialpsychologischer Hin-
weise und literarisch herausgearbeiteter Disziplinierungstechniken, ganz dem
Fetisch des Boxens ergeben: Zelebriert wird der Aspekt reiner, ins Schaufenster
der Massenhysterie gestellte Körperlichkeit im Zeichen des Zeit- und Menta-
litätsgeflechts Boxen; die Signalfigur des Boxers zeigt sich in Trainingsexzesse
verfangen; in die Vorstellung vom Boxen als Lebens- und Weltbewältigungspro-
gramm scheint keine Relativierungsebene eingezogen, die theoretisch plausibel
zu fassen wäre. Die Diskurse distinkter Formationen – Pseudo-Sakralisierung,
Ökonomie, Nationalismus und das Berserkern in den Arenen – werden endlich
in Form einer Spektakelkultur inszeniert, die sich einem modernen Denken in
differenzierten Zusammenhängen verweigert. Zusammenfassend ist festzuhal-
ten, dass jener Modernitätsschub, den sich die Trivialliteratur durch das Signal
7 Geisenhanslüke 2007, S. 74
8 Ebd. 119
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440