Page - 139 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Täubchen!“194 Der Duellvorbereitung liegt eine technokratisch-penible Übungs-
und Arbeitsplanung zugrunde; Tafeln und Verordnungen an den Wänden des
Übungssaals195 unterweisen den angehenden Boxer in Theo boxt sich durch:
Jeden Tag mußte er erst zwanzig Minuten turnen, um den ganzen Körper kräftig
und geschmeidig zu machen, dann kam Seilspringen, daß für die Füße und Beine
gut war, dann wurde am Ball und am Sandsack geboxt, vor dem Spiegel gearbeitet
[…]. Nach einer Pause wurden Expander gezogen, dicke Gummistränge, an denen
zwei Griffe waren;
[…] Darauf wurde gegen einen Gegner, den man sich im Geiste
vorstellte, ‚schattengeboxt‘.196
Der zweite Weg wählt die Möglichkeit, Training übermäßigem Härtezwang
und Kräfteverschleiß zu unterwerfen, auch wenn die Gefahr besteht, sich da-
bei „in der Rage [zu] vergaloppier[en]“197 und durch übermäßiges Training das
„Blutgierige“198 wachzurufen. Trainingsdressur soll Störendes, Sinnloses und
Stereotypes wegschmelzen, bis auf den rohen und fitten Körperkern, auf dem
die wohlgeformte und muskelbepackte Person aufbaut; Training soll zum Vor-
schein bringen, was im Sportler steckt; Schmerz soll das Individuum auf reine
Gegenwart reduzieren, Pein zum Erlebnis des Authentischen dienen. In Hannes
Borks Roman Der deutsche Teufel wird der Boxer Thomas Kroner dabei konse-
quenterweise von Anton Bolle unterstützt, der sich als „Hundedresseur, Hunde-
händler, Boxlehrer, Filmdarsteller und Manager“199 einen Namen gemacht hat
und sich als Kroners Trainer amerikanisiert Allan Bull nennt.200 Boxer werden
geschult, „harte Schläge zu nehmen“201 und Hieben standzuhalten, von „denen
der kleinste genügt hätte, einen gewöhnlichen Sterblichen glatt in den Sarg zu
bringen“202. Der ergraute Oberst Villeneuve gibt in Der große Kampf zu beden-
ken: „Aber ein Boxer beim Training ist wie ein Soldat auf Posten. Er darf ihn bei
Todesstrafe nicht verlassen.“203 Schonungsloser Umgang formt den Boxer. Das
„faule Fleisch und Fett“204 wird von Muskelmasse verdrängt, und bestimmte
194 Ebd.
195 Vgl. ebd., S. 269
196 Nohara o. J., S. 12; vgl. Hollaender 1927, S. 269ff; Witte 1939, S. 23; Löffler 1939a, S. 112
197 Wohlbrück 1921, S. 286
198 Hellwig 1931, S. 33
199 Bork 1921, S. 28
200 Vgl. ebd., S. 40
201 Witte 1939, S. 64
202 Uzarski 1930, S. 104
203 Wohl 1927, S. 59
204 Nohara o. J., S. 11 139
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440