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bummeln“210; das Trainingsziel ist die austauschbare boxerische Retortenfigur,
zurechtgestutzt und jeden Eigensinns beraubt. Der erste Tag als Boxer ist zu-
gleich der letzte, an dem der Sportler nach eigenem „Geschmack leben“211darf.
Mäßigungsgebote wider die „lockenden Genüsse des Lebens“212 prägen die
Kampfvorbereitung; vor Rauschmitteln wird explizit gewarnt.213 Der Boxer ist
angehalten, „keinen Seitensprung, keine Unregelmäßigkeit“214 zu begehen, „kein
Glas Bier und keine Zigarette“215 zu konsumieren: „Er gehörte ausschließlich
seinem Sport, er wollte diesen Sport zu etwas bringen und sich dazu.“216 Trai-
ning schreibt sich in die Zeitabläufe ein: „Auf alle Freuden des Daseins hatte er
in den letzten Wochen Verzicht geleistet um des Erfolges willen.“217 Als Aus-
wirkung jener „Zuchtgewalt“218, die dem Coach, der wie „Zerberus über seinen
Schützling“219 wacht und „Körpermaße wie ein Bildhauer“ 220 ändert, als Drill-
experte zugestanden wird, werden selbst im eindimensionalen Genre der po-
pulären Boxbücher an Foucault gemahnende Selbstregulierungsmechanismen
aktiviert, die durch Selbstregulierungsapparaturen verstärk werden: Er müsse,
ergeht sich der Boxer Heino Franken in Der dritten Runde in vorauseilender
Disziplinierung, auf den „Genuß aller Narkotika verzichten“221. Entsagung, so
Frankens Trainer, sei geboten: „Vor allem keine Exzesse! Meiden Sie den Al-
kohol und die Frauen. Leben Sie möglichst für sich, gehen Sie früh schlafen,
stehen Sie früh auf, laufen Sie viel und konzentrieren Sie sich ganz auf Ihre
Aufgabe.“222 Auf der Schiffspassage nach Amerika verschreibt der Schiffsarzt in
Der deutsche Teufel dem Boxer Thomas Kroner eine Medizin gegen Seekrankheit.
„Er verordnete Thomas Pulver, die der Riese niemals nahm, denn er verachtete
alle Mixturen der Quacksalber, wie er sich ausdrückte.“223 Foucaults diskursana-
lytische Grundgedanken lassen sich mit der dargestellten erzählerischen Strate-
gie der offenkundigen Übertragung der tayloristischen Rationalisierungs- und
210 Schievelkamp 1920, S. 58
211 Ebd., S. 60
212 Löffler 1939a, S. 112; vgl. Schievelkamp 1920, S. 189
213 Vgl. Witte 1939, S. 18f, 80 u. 193; Uzarski 1930, S. 99; Wohlbrück 1921, S. 62; Sigleur 1940, S.
85 u. 98
214 Sigleur 1940, S. 14
215 Ebd.
216 Ebd.
217 Schievelkamp 1920, S. 206
218 Foucault 1977a, S. 220
219 Uzarski 1930, S. 99
220 Thiess 1967, S. 103
221 Schievelkamp 1920, S. 175
222 Ebd., S. 110f
223 Bork 1921, S. 105 141
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440