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gengläser auf seine Widerstandskraft prüften.“277 Boxen illustriert idealtypisch
die zeitgenössische Dominanz des Monetären: Gefecht ist Geschäft. Boxen hält
den Geldumlauf in Schwung. Als ein „zugleich entscheidungsoffener und ent-
scheidungseindeutiger Wettkampf“278 eignet sich Boxen zudem hervorragend
zum Wetten.279 In Der groĂźe Kampf steht das Duell Jackson gegen Charles
Marrautier an: „Die Wetten standen eins zu eins, und man hätte mit ihrer Ge-
samtsumme die halben europäischen Schulden tilgen können.“280 Die Manager
und Promoter der Boxer sind schablonenhaft als rĂĽcksichtslos und kaltherzig
gekennzeichnet, als Negativfiguren schlechthin, ohne erläuternde Erklärung.
„Wir leben in einer Zeit, in der Talente schlecht verborgen bleiben können“281,
kommentiert Erich Kästner ohne ironischen Einschlag in der Marginalie Boxer
unter sich – im Februar 1929 im Magazin Das Leben erstveröffentlicht –, was an
den „Talentsuchern“282 liege: Diese „nennen sich Manager, Trainer, Impresario
und tun alle dasselbe: sie leben von fremden Talenten. Sie suchen Gold in den
Kehlen, Fäusten, Füßen, Köpfen der anderen, graben es aus und behalten sich
die Hälfte davon. Mindestens die Hälfte.“283 Der geschäftstüchtige Manager
in Männer im Ring reibt sich die Hände und rechnet sich „in dem Qualm sei-
ner Zigarre die unwahrscheinlichsten Zahlen fĂĽr die kommende Weltmeister-
schaft aus“284. Der New Yorker Boxmanager Rogers ist in Der große Kampf der
„unumschränkte Herrscher über einen gewaltigen Apparat von Menschen und
Macht“285. Die Boxer verwandeln sich in Einzelunternehmer; die Kredit- und
Glaubwürdigkeit des einzelnen Sportlers korrespondiert mit dem „Wert seiner
Muskeln“286. In Der Boxer, zwei Frauen und ein Pfeil erscheint der Boxer Anto-
nio Pareiro in sinnbildlicher Repräsentation als „Goldbergwerk“287; der Trai-
ner in Das Erwachen des Donald Westhof will den Athleten durch Knebelvertrag
binden: „Du stellst mir Generalvollmacht aus – verpflichtest dich, […] in den
277 Ebd., S. 337
278 Krockow 1980, S. 22
279 Roland Barthes notiert in Die Welt, in der man catcht, dass „das Boxen ein jansenistischer, auf
dem Beweis eines herausragenden Könnens begründeter Sport“ sei; man könne deshalb auf den
Ausgang eines Boxkampfs wetten; beim Catch hätte dies keinen Sinn; der Boxkampf, so Barthes
weiter, sei „eine Geschichte, die vor den Augen des Zuschauers“ entstehe, vgl. Barthes 1986b, S.
37f
280 Wohl 1927, S. 252
281 Kästner 1998a, S. 168
282 Ebd.
283 Ebd.
284 Sigleur 1940, S. 110; vgl. Scheff 1929, S. 40
285 Wohl 1927, S. 231
286 WohlbrĂĽck 1921, S. 301
287 Scheff 1929, S. 162 149
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440