Page - 171 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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geht er auf den Gegner los, als wolle er ihn zerhacken. Der lächelt verlegen, haut –
ohne „Pardon“ zu sagen – schon wieder auf Dieners Nase und steckt die Quittung
ergeben ein. Sie springen wie die Eber herum.60
Er könne, so Diener nach dem Trainingsduell, vor „Muskelfieber kaum gehen
und sitzen“61. Die Helden der Faust sind von Erschöpfung und Selbstwertkrise
gezeichnet. Manns zeitdiagnostisches Werk Die große Sache rückt das „Gesetz
der Bewegung als Stillstand“62 in den Mittelpunkt, um die zeitgenössische
Überbetonung des Sports, der hier in Form von Boxen auf den Plan tritt, struk-
turell aufzuzeigen. Das Personal des Romans, der vom „Ablauf des hektischen
Durcheinanders“63 geprägt ist, besucht wiederholt Boxkämpfe; der Boxer Bruno
Brüstung zählt zum Freundeskreis der Familie. Inmitten des von Boxen mit-
bestimmten Wirrwarrs platziert der Autor Brüstung als ermatteten Athleten
und Reibebaum für das Missbehagen seiner Umgebung. Inge, in die Brüstung
verliebt ist, nennt den Boxer „Penner“64, und Birks Schwiegersohn Emanuel
schimpft ihn „Gorilla“65, eine Kreatur, die im Grunde „hinter Schloß und Rie-
gel“66 gehöre. Der negative Blick auf den boxenden Bruder Kraftlos wird durch
das Tumultartige des Romans, das keine Pause kennt, noch zusätzlich verstärkt.
Das Duell Brüstung gegen Alvarez ruft deshalb auch Abwehrreaktionen hervor;
der Vorgang des Kämpfens reizt unvermittelt zum Lachen:
Die vierte, fünfte und sechste Runde vergingen damit, daß die Kämpfenden ein-
ander ermüdeten bis zu einem unwahrscheinlichen Grade. Die Zuschauer zählten
laut, wie oft jeder fiel; von jetzt ab nahmen sie es humoristisch, sogar ihr ungerech-
ter Beifall blieb aus. Andrerseits hatten sich die Damen, die deshalb hier waren,
am Anblick von Blut schon übersättigt, ihr Bedarf war im Grunde nicht groß; das
Weitere langweilte sie. Allgemein griff Langeweile um sich.67
Das Sportlerdasein von Brüstung wird in Selbstzweifeln aufgelöst. „Brüstung
war gegen Blutvergießen, obwohl er boxte, und er hatte das Gefühl, daß es seiner
unwürdig war, wenn gerade sein Gegner unfair behandelt wurde.“68 Brüstung
60 Ebd.
61 Ebd., S. 172
62 Becker 1993, S. 239
63 Schütz 1986, S. 119
64 Mann 1972, S. 241
65 Ebd., S. 242
66 Ebd.
67 Ebd., S. 151
68 Ebd., S. 208 171
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440