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Eltern ĂŒbersiedelt81, bekommt ebenfalls eine Abreibung verpasst: âEr schlug, so
sehr es ihm behagte, / und fand an diesem Sport GenuĂ, / bis Fritz den Rock
auszog und sagte:Â âNun aber SchluĂ!ââ82 Der gelehrige FaustkampfschĂŒler Fritz
wehrt sich der Attacken; er boxt das Visavis musterschĂŒlerhaft: âDas war ein
Uppercut!â83 KĂ€stner lĂ€sst einen HalbwĂŒchsigen im Faustduell triumphieren.
LĂ€sst sich das Boxen, in das verstĂ€rkt auĂerdiskursive Bedingungen einbezogen
sind, ĂŒberhaupt noch ernst nehmen, wenn der gestĂ€hlte Körper als Karikatur des
IdentitÀtsverlusts aufscheint?
Was die Einbeziehung des Ironischen in den Bereich des Boxens betrifft, wird in
der kulturwissenschaftlichen Forschung hÀufig auf die am 22. November 1810 in
den Berliner AbendblÀttern publizierte Anekdote Heinrich von Kleists verwiesen84;
bei der KurzerzĂ€hlung, in deren Mittelpunkt zwei âberĂŒhmte Englische Baxerâ85
stehen, handelt es sich um eine der âersten Formen literarischer Rezeption des
Boxens in Deutschlandâ86. In Kleists Anekdote ist der eine Boxer âaus Portsmouth
gebĂŒrtig, der Andere aus Plymouthâ87; die Boxer, die âseit vielen Jahren von ein-
ander gehört hatten, ohne sich zu sehenâ88, beschlieĂen daher, âzur Entscheidung
der Frage, wem von ihnen der Siegerruhm gebĂŒhre, einen öffentlichen Wettkampf
zu haltenâ89. Die beiden Kontrahenten werden von Kleist als boxende Finsterlinge
vorgestellt, denen im Ăbereifer des Gefechts das MaĂ zwischen Angstmachen und
Attackieren, Kampfverlauf und Kampfresultat abhandenkommt:
Worauf das Volk, das im Kreise herumstand, laut aufjauchzte, und, wÀhrend der
Plymouther, der an den GedÀrmen verletzt worden war, tot weggetragen ward,
dem Portsmouther den Siegsruhm zuerkannte. â Der Porthsmouther [sic] soll aber
auch Tags darauf am Blutsturz gestorben sein.90
Die Ereignisse der Anekdote geraten ins Rutschen und erzeugen ironische Span-
nung. Das dem Boxsport innewohnende polare Prinzip von Sieg und Niederlage
wird vom Autor spielerisch aufgelöst, da es mehr als zweitrangig scheint, ob
81 Vgl. ebd.
82 Ebd., S. 31
83 Ebd.; Thomas Mann lĂ€sst bereits 1911 in der ErzĂ€hlung Wie Jappe und Do Escobar sich prĂŒgelten
zwei Jugendliche in einen improvisierten Boxkampf aneinandergeraten, vgl. Mann 2004, S. 494
84 Vgl. Luckas 2002, S. 252ff; weiter gefasst bei Bernett 1960, S. 148ff
85 Kleist 1990, S. 366
86 Luckas 2000, S. 252
87 Kleist 1990, S. 366
88 Ebd.
89 Ebd.
90 Ebd., S. 366f
174 | Teilï»ż
II.ï»ż
Imï»ż
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂŒberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂŒckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und NebenschauplÀtze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten ErzÀhlliteratur 160
- âZeitfigurâ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440