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Syntax, der sei der „größere Physikalist“141. Der Physikalismus, die grundsätz-
lich nach den Methoden der Physik ausgerichtete Betrachtung der biologischen
Prozesse und der Lebensvorgänge, feiert sich als Naturkraft. Wie nebenbei wird
in Kuhs Erzählung der problematische Furor der Fankultur offengelegt; die pa-
thetische Verehrungsabsicht von Ferrys boxsportlichem Parteigänger ist in Wie
schreibt man über einen Boxer? dokumentiert: Ferrys Antwort auf der Frage, ob
er Nurmi oder Einstein wählt, sei, so der Boxsportadorant, ein „Wort, das sich
die Menschheit auf ihre Zukunftsfahne schreiben sollte!“142 Die hyperbolische
Sympathisantenrede mündet in ein artifizielles, boxsportlich ideologisiertes
Utopia neuer Werte, in dem der „Mensch nach Jahrhunderten wieder kühn aus
dem Individuellen ins Gattungsmäßige“143 vorangehe, sozusagen ins „Zoologi-
sche“144 hinein.
Hans Breitensträter in Der Bizeps auf dem Katheder
Eine „donquichoteske Attacke auf die aktuelle Wirklichkeit“145 der Persona des
Boxers startet auch Joseph Roth in den Feuilletons Ursachen der Schlaflosigkeit
im Goethe-Jahr, Heimkehr eines Boxers und Der Bizeps auf dem Katheder. In Ursa-
chen der Schlaflosigkeit im Goethe-Jahr reiht Roth vor dem Hintergrund des Rück-
kampfs von Max Schmeling gegen Jack Sharkey, 1932 im New Yorker Madison
Square Garden ausgetragen, die Figur des Boxers hinterlistig in die Ahnengale-
rie Goethes.146 Um Schmelings Chance ist es in dem Kampf nicht zum Besten
bestellt. Wenn es denn, so Roth voller falscher Empathie für den Heroen aus
Deutschland, in einer so „verzweifelten Lage überhaupt einen Trost“147 gebe, so
in der „Versicherung eines Berliner Boulevardblattes, daß ,die Bedeutung eines
Menschen irgendwo in seiner Familie wurzelt‘ und daß die Mutter Schmelings,
Frau Amanda Schmeling […] jene Intelligenz besitzt, von der ‚Max im Ring und
im Leben so oft entscheidende Proben gegeben hat, während der Nerv […] und
die bedachtsame Ruhe […] von Vater und Mutter zugleich zu stammen schei-
nen.‘“148 Somit seien, kommentiert Roth, die „Analogien zwischen unserem Welt-
meister Wolfgang und seinem Erben Max beinahe vollkommen“149. In Heimkehr
141 Kuh 1963, S. 73
142 Ebd.
143 Ebd.
144 Ebd.
145 Rothe 1981, S. 147
146 Vgl. Roth 1991b, S. 413
147 Ebd., S. 415
148 Ebd.
149 Ebd.
184 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440