Page - 185 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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eines Boxers erörtert Roth das problematisch gewordene Boxerbild wiederum
in einer Kombination von Anspielungen, außerliterarischen Verweisen und der
Montage öffentlicher Wahrnehmung; der Autor ist um das Heißlaufen jenes dis-
kursiven Schaltkreises bemüht, in dem das Bild des Boxers mitzirkuliert: Roth
lässt in Heimkehr eines Boxers einen Athleten mit Worten, die dem „Boxer aus dem
Herzen“150 kommen und „frische, neue, warme Wunder“151 waren, noch in den
USA Fragen von Zeitungsreportern beantworten, unter anderem nach der Rela-
tivitätstheorie und seinem „Einverständnis mit der modernen Kriegsliteratur“152.
Nach der transkontinentalen Flugreise, der Überbrückung von Raum und Zeit
und dem enthusiastischen Empfang durch eine fanatisierte Masse153 erhebt der
Boxer, erneut zur Relativitätstheorie befragt, das Wort, „obwohl er ein Mann der
Tat und der Faust war“154. Er habe seine „Meinung über sie unterwegs nicht ge-
ändert – und ehe noch die Frage über die neuen Kriegsromane gefallen war, fügte
er ahnungsvoll hinzu, daß er mit ihnen zufrieden sei. Gegen den Frieden unter
den Völkern hatte er gar nichts einzuwenden und gegen den Krieg auch nicht.“155
Nahezu jeder Zusammenhang, den Roth in Ursachen der Schlaflosigkeit im Go-
ethe-Jahr und Heimkehr eines Boxers benennt, wird sachlich erhellt, analysiert, aus-
gedeutet und zuweilen bis zur Groteske entstellt. Vor der Publikumsmenge führt
der Boxer in Heimkehr eines Boxers seine Rede fort: „Die heranwachsende Genera-
tion der Boxer hielt er mit Recht für eine geniale, die der jungen Dichter nicht mit
Unrecht für eine schlagkräftige. Bescheiden, ja demütig lauschte er den Heilrufen
des Volkes.“156 In Der Meister im Museum belässt es Roth schließlich nicht mehr
bei Zurufen aus dem Publikum, als der Boxer Dempsey in Berlin eintrifft:
Das Volk lagerte auf dem Bahnsteig und befreite sich, als der Zug einrollte, in
Jubelschreien, die alle Lokomotivenpfiffe überschrillten. Die Damen fuhren vor
Aufregung aus ihren Pelzen und schleuderten sie in die Luft. Sie wurden dann
von Männern aufgefangen und entweder zurückerstattet oder mitgenommen. Herr
Dempsey trat aus dem Waggon, ideenassoziative Visionen von ankommenden
Majestäten auslösend. Er stieg geradewegs in die Popularität, vor der ihn Schutz-
leute und Bahnbeamte vergebens zu schützen suchten.157
150 Roth 1991a, S. 104
151 Ebd.
152 Ebd., S. 103
153 Vgl. ebd., S. 104
154 Ebd.
155 Ebd.
156 Roth 1991a, S. 102
157 Roth 1989d, S. 805 185
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440