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erreichte beschwerlich seine Ecke und krachte mit vollem Gewicht auf seinen
Hocker nieder. Nur muĂźte unter Alvarez auch noch das StĂĽhlchen einbrechen,
dies Mißgeschick entschied über ihn vollends. Er wurde ausgepfiffen.“266 Das
Muster an Männlichkeit? Am Boden. Joseph Roth polemisiert in Die Boxer
(II) auf andere Art gegen die frei flottierenden Heldenmythen unbezwing-
barer Männlichkeit: „Ferner haben die Boxer nackte Waden wie Knaben im
Sommerpark. Auf ihren strammen Unterschenkeln wachsen blonde gekräuselte
Härchen, eine üppige Vegetation, verursacht durch Männlichkeit, sichtbar ge-
wordenes Strotzen der Kraft.“267 Die maskuline Gestalt des Boxers erfährt bei
Franz Blei ebenfalls arglistige Anerkennung. Im „geläufigen Sinn heutiger ganz
femininer Kultur“268, so Blei in Bildnis eines Boxers, erscheine der Muskelprotz
im Ring geradezu als „männischer Mann“269, als ein „seltenes Exemplar“270 .
3.
Kaputte
Kampfmaschinen:
Trainingsschinderei
ohne
Sinn
Die Vorstellung von Training als Stimulus eines bestimmten LebensgefĂĽhls
– der, so Foucault in seinen Schriften, „allgemeinen Disziplinierung des Da-
seins“271 – wird von Erich Kästner, Joseph Roth, Franz Blei, Ernst Krenek,
Klabund, Anton Kuh und Walter Serner rigoros ĂĽberprĂĽft. Die Autoren der
elaborierteren Literatur wollen sich von dem im Prokrustesbett des Körperkults
zurechtgeformten Trainingskanon abheben; sie versuchen deshalb, von mime-
tischer Erregung geradezu ergriffen – „Notizbücher passen schlecht in Turn-
hallen“272, dekretiert Erich Kästner in Boxer unter sich –, ihre Berichte aus den
Kraftformungsräumen des Boxens durch exklusive Perspektiven zu beglaubigen:
„Nur für den bloßen Enthusiasten beginnt der Kampf erst dort, wo er eigent-
lich aufhört: im Kampfring“273, gibt Kästner in der mit Plauderei untertitelten
Erzählung Boxer unter sich zum Besten. „Und weil es das Vorrecht des Laien ist,
ohne Prestigeverlust unrecht zu haben, behaupte ich ohne Skrupel:Â Das Trai-
ning ist interessanter als der Kampf. Sollte diese Behauptung falsch sein – es
tut nichts. Denn im Rahmen einer Plauderei behalte ich ja doch recht. Wer hat
einen Boxkampf gesehen? Es sind viele. Aber, wer hat schon ein Boxtraining
266 Mann 1972, S. 149
267 Roth 1989b, S. 999
268 Blei 1994, S. 22
269 Ebd.
270 Ebd.
271 Foucault 2002, S. 761
272 Kästner 1998a, S. 168
273 Ebd.
202 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440