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das Ganze der Welt.“293 Was zähle, sei die „härtere Regel des Sportes“294, dem
sich der Boxer Simone in Bildnis eines Boxers unterwirft, dem „Ringkampf, dem
Lauf, dem Boxen in der klassischen Form der bloßen, nackten Faust“295. Mit
diebischer Freude lassen diese Autoren, wie anschließend zu zeigen sein wird,
das Training der Boxer ins Chaotische und Leere laufen.
Trainingsschock in Schwergewicht oder Die Ehre der Nation
Das zeitgenössische Interesse für den im boxsportlichen Apparateparcours ge-
formten Menschen wird auf die Probe gestellt. Auch im „Trainiersaal im Hause
des Meisterboxers“296 Adam Ochsenschwanz ist ein kompliziert zu handhabender
„Trainierapparat“297 aufgebaut. Die Vorrichtung in Schwergewicht dient der „Be-
tätigung der Ruderbewegung“298 und besteht
aus einem Sitz und einer Fußstütze, die auf Rollen laufen, und einem dem Fahrrad-
steuer ähnlichen metallenen Handgriff, der vom Sitz aus erreichbar und beweglich
ist. Das Ganze durch einen deutlich sichtbaren Draht mit einem Steckkontakt in der
Wand verbunden, so daß es mit Hilfe eines seitlich angebrachten Schalters mit elek-
trischer Kraft betrieben werden kann […]. An der rechten Seitenwand […] noch ein
paar passende Gerätschaften (Punchingball u. dergl.), […] aber ganz vorn auf einem
kleinen Sockel eine lebensgroße Trainierpuppe mit beigefarbenen Unterschenkeln, kaf-
feebraunen Oberschenkeln und gelblichem Körper, der Kopf ein dunkler Lederball.299
Im Furor zertrümmert Ochsenschwanz das Turngerät und lässt sich eine neue
Ertüchtigungsapparatur aufstellen.300 Die ursprüngliche Bedeutung des griechi-
schen Wortes techne – Können, Fertigkeit, Gebrauch – scheint im Boxen aufge-
braucht. Das Vertrauen und der Glaube an die maschinenartige Leistungsfähig-
keit und die schier unbegrenzte Körperkraftkapazität werden in Schwergewicht
unter den Lichtkegel des Ironischen und Fragwürdigen gerückt. Ochsenschwanz
nimmt Platz auf dem neuen Übungsapparat, wieder eine Art Rudermaschine,
erneut mit Elektrokraft angetrieben.301 Er stürzt sich ins Training:
293 Ebd., S. 20
294 Ebd., S. 21
295 Ebd.
296 Krenek 1974, S. 171 (Hervorh. im Orig.)
297 Ebd. (Hervorh. im Orig.)
298 Ebd. (Hervorh. im Orig.)
299 Ebd., S. 170 (Hervorh. im Orig.)
300 Vgl. Krenek 1974, S. 176
301 Vgl. ebd., S. 171
206 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440