Page - 221 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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grenztes Viereck […] werden sichtbar. Ein Mann in einem geblümten Bade-
mantel kommt, er wirft den Mantel ab.“397 Die in geradezu militärischem Ton
ausgegebene Regieanweisung Roths zur Interpretation der ungewöhnlichen
Ringsituation lautet: „Lorgnetten, habt acht!“398 Die Aktion im Ring, fordert
der Autor, sei mit Hilfe des bügellosen, an einem Stiel vor Augen gehaltenen
Sehbehelfs genau zu prüfen; die Schärfe wirklichen Verstehens stellt sich indes
nicht ein; niemand weiß das besser als Roth selbst. Das ist auch mit ein Grund,
weshalb sich im Katalog des elaborierten Schreibens, das die Spektakelhaftig-
keit der boxliterarischen Sensationsliteratur als Orientierungshintergrund nur
mehr durchschimmert lässt, weitere Modelle kritischer wie polemischer Dis-
tanzierung von der Literaturmode Boxen finden. In den Schriften dieser Au-
toren wirken Ironisierungen, Problematisierungen und die Marginalisierungen
des Boxens vor der Folie eines grassierenden Virilitäts- und Vitalitätskults; der
Mann im Ring wird mit Ethnografenblick kritisch gemustert. Anstatt den Box-
sport qua Affirmation zu nobilitieren, wird ein Spektrum erweiterter diskursiver
Betrachtungs- und Beschreibungsperspektiven exploriert. Die Figur des Boxers
erscheint ins Ironisch-Groteske und fast schon Lachhafte gewendet und dient
als marionettenhaftes Demonstrationsobjekt für die Enttarnung der Imagina-
tionen von Kraftmeierei und Kampfkult. Foucaults Diskursanalyse öffnet nicht
nur in diesem Zusammenhang den kritischen Blick auf das Boxen399 – und un-
terstreicht, gerade was das Boxen betrifft, dass die Literatur zu diesem Sport
keineswegs vorrangig für die Literaturwissenschaft geschrieben worden ist (was
wiederum für einen großen Teil der Literatur gelten mag).
Boxzirkus in Joseph Roths Die Boxer (II)
Während sich die Trivialliteratur an einer prinzipiellen Bejahung des Boxens
orientiert, indem sie das Treiben im Ring unhinterfragt unter das Signalement
des Sportspektakels mit Showcharakter stellt, erörtern die Autoren des moder-
nen Schreibens das Faustkämpfen als eine Art ironisches Kondensat von dis-
kursiv unterfütterten Konflikten. In Die Boxer (II) extrahiert und extrapoliert
Joseph Roth aus der Bilderflut zum Boxen jene Ebenen, die tief im Begriffsre-
servoir des Zirzensischen wurzeln; an diesem Punkt kann die kritische Lektüre
des Kuriosums Boxen ansetzen. Roth schreibt:
397 Roth 1989a, S. 143
398 Ebd.
399 Vgl. Paterno 2011, S. 129f 221
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440