Page - 226 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Schwitters zuwege, zu all dem noch Boxen in Herthas Geschichte zu verschal-
ten. In den paradiesischen Gefilden der vermeintlich Seligen trifft Hertha unter
anderem auf Stefan George und Alfred Kerr436 sowie auf „Onkel Gropius“437,
„Onkel Pfizer“438, „Onkel Hugo von Hoffmannstal [sic]“439 und „Tante Rainer
Maria“440. Der Text, an der äußersten Grenze der Groteske angesiedelt, nimmt
jähe Wendungen und schlägt etliche Volten, bevor sich Hertha unter den illust-
ren Zeitgenossen und mit weiteren bizarren Ereignissen konfrontiert sieht. Ein
„neuer Engel“441 erscheint im Paradies:
Im Paradies ereignete sich inzwischen folgender Vorfall. Hans Breitensträtter [sic],
ehemaliger Schwergewichtsmeister von Deutschland, genannt der blonde Hans, war
seinerzeit am 29. Februar 1924 durch Paul Samson Körner aus Zwickau in Sach-
sen geboxt worden. Zu jener Zeit war im Paradiese ein neuer Engel angekommen
namens Hans Breitensträtter [sic], von dem gesagt wurde, daß er boxen könne.442
In einem weiteren abrupten Szenenwechsel wird der körperlose Kraftmensch
Breitensträtter von dem Paradies-Bewohner „Onkel Ungeflochten“443 bestürmt,
den Kindern das Boxen zu zeigen. Boxen erscheint, höhnisch gedreht, wie in
Erich Kästners Text Der Preisboxer als ein Vergnügen für Halbwüchsige, ausge-
fochten zwischen geisterhaften Erscheinungen, als ein harmloses Spiel in äthe-
rischer Umgebung:
Die Kinder hüpften um den blonden Hans herum und sagten:
„Box uns mal, lieber
Onkel Hans, box uns mal!“ und sie boxten sich gegenseitig in die Seite und boxten
Onkel Ungeflochten in die Seite und Onkel Pfizer bekam sogar einen von den
verpönten Nierenschlägen. Aber Onkel Hans wollte nicht boxen und sagte:
„Wenn
ich erst boxe, müßt Ihr doch alle zu Boden.“444
436 Vgl. ebd. S. 144; Stefan George (1868–1933), deutscher Schriftsteller; Alfred Kerr (1867–1948),
deutscher Journalist und Autor
437 Ebd., S. 144; Walter Gropius (1883–1969), deutscher Architekt und Bauhaus-Gründer
438 Ebd., S. 144; Schwitters legte sich früh eine Reihe von Pseudonymen zu, unter anderem Dr.
Gustav Pfitzer und Gustav Pifter, vgl. Nündel 1981, S. 33
439 Schwitters 1998, S. 145
440 Ebd., S. 143
441 Ebd., S. 144
442 Ebd., S. 143f
443 Ebd., S. 144; Querschnitt-Herausgeber Alfred Flechtheim scheint an mehreren Stellen im Werk
Schwitters als Herr Alfred Ungeflochten auf, vgl. Nündel 1981, S. 76
444 Schwitters 1998, S. 144
226 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440