Page - 227 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Der Boxer kann gar nicht mehr parodiert werden; er verkörpert bereits die Paro-
die. Breitensträtters Wink verhallt ungehört; der Boxer duelliert sich bald – mit
engelsgleichen Fäusten? Die Exilanten im Elysium planen nebenher den Bau
einer riesenhaften Röhre. Die Auseinandersetzung, die sich dabei entzündet,
gerät zur nächsten Travestie eines Boxkampfs. Das mit Friede und Ruhe assozi-
ierte Arkadien verwandelt sich in ein boxerisches Aufmarschgebiet. Breitenst-
rätter gerät mit „Peter Röhl“445 in Streit, der beim Röhrenbau mit einem „rie-
sigen Windhobel“446 hantiert. Zu Beginn der Arbeiten an der Röhre durchaus
noch zur Freude des Boxers: „Der Mann gefällt mir, mit dem möchte ich wohl
gern mal boxen.“447 Röhl entgegnet sogleich, er müsse zuerst noch den Wind
abhobeln. „Nachher lassen wir Drachen steigen und dann wird auch geboxt.“448
Aus dem Nichts heraus entwickelt sich aber bald ein Handgemenge; der Boxer
scheint dabei in einem „Sturm der Dummheit“449 verfangen:
Zur Seite aber stand Breitensträtter und ärgerte sich, daß Peter hobelte und nicht
er. Die vierdimensionale Hertha sah immer noch inaktiv zu. Plötzlich ging Brei-
tensträtter auf Peter Röhl zu und gab ihm eine Ohrfeige. Darauf sagte Peter: „Sie
wollen mich beleidigen?“ „Im Gegenteil“, sagte der Hans, „Sie haben mich schon
lange beleidigt durch Ihr herausforderndes Benehmen an der quadratischen Röhle
[sic].“ „Nein, Sie mich“, sagte Peter Röhl. „Nein, Sie mich“, sagte Hans Breitenst-
rätter. „Nein, Sie mich!“ „Nein, Sie mich!“ „Sie mich!“ „Sie mich!“ „Sie mich!“ „Sie
mich!“ „Sie mich!“450
Es wird hier viel Wind ums Boxen gemacht. So gut wie jede Technik des sozi-
alen Lebens scheint suspendiert. Gemäß der Vorgabe des mit Waffen ausgetra-
genen Ehrenduells, das in Deutschland bis 1914 verbreitet war451, vereinbaren
darauf die Sekundanten der Streiter ein Boxringduell. Die Sekundanten – Hugo
von Hoffmannstal auf Seiten Röhls452 – werden zu „Hosenträgern“453 ernannt;
Röhls Gehilfen suchen Breitensträtter in dessen Wohnung auf, überreichen dem
Athleten Blumenstrauß und Kampfanbot, worauf dieser „seine beiden Kar-
445 Ebd., S. 144; Schwitters spielt offenbar an auf Karl Peter Röhl (1890–1975), deutscher Designer
446 Ebd.
447 Ebd.
448 Ebd., S. 145
449 Kornfeld 1977, S. 235
450 Schwitters 1998, S. 145
451 Vgl. Blom 2009, S. 190ff
452 Vgl. Schwitters 1998, S. 145f
453 Ebd., S. 145 227
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440