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möglich“108). Meinke bekommt die Signaturen der Epoche aufgeprägt: Mecha-
nisierung in Form des Motorradfahrens und jene Form der Ă–konomisierung,
die finanzielles Taumeln genauso wie Reichtum am Rande des Märchenhaften
einschlieĂźt.
3.
Bühnenreife:
Brecht
auf
dem
Boxpodium
Das Aufkommen der Theater-Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts
trägt zur Popularisierung des Boxens ebenso bei wie das Spielerische dem Sport
seinen Schrecken nimmt; die dem Boxen anhaftende Sensations- und Schaulust
befördert zudem die allmähliche Auflösung der traditionell-bürgerlichen Pola-
ritäten von Kunstanstrengung und Zerstreuung109: Brecht erkennt darin, indem
er den Sport genauer inspiziert, einen spezifisch diskursiven Qualitätsausweis
des Boxens, während das Gros seiner Zeitgenossen den Verlockungsangeboten
und Reizen der zeitlichen und örtlich spezifizierten Diskontinuität des Boxens
– dem Tumult in den Arenen, dem Brutalitätsschauspiel im Ring – wie gebannt
folgt und darüber verabsäumt, den sportlichen Habitus der Athleten als kulturell
vorgeformte Rollenschablone und körpersprachlich ausgedrückte Signalreihe zu
hinterfragen. In Der Wille zum Wissen opponiert Michel Foucault vehement ge-
gen jede „Ausradierung des Körpers“110. Auch Brecht erkennt in den Boxern auf
den Sportbühnen Ausdrucksträger des Zeitalters – deren Agieren er in grund-
sätzlich neuer Perspektive mustert, in Kategorien des Theatralischen und Per-
formativen: Sport und Theater teilen sich das Ausdrucksreservoir des Körpers.
Das Agieren des Boxers als Zeitfigur und modernes Subjekt setzt sich dabei aus
körperlich-performativen und geistigen Praktiken zusammen – aus diskursiv
verschränkten Formationen des Wissens, der Macht und der Subjektivierung.
Indem Brecht das Augenmerk auf die performativen Vorgänge des Boxens rich-
tet, fĂĽhrt er den Sport jenseits des Spekulativen einer genaueren Betrachtung
zu: Boxen erscheint als ein körperdominierter Praxis- und Diskursraum, in dem
Mechanismen der Individualisierung wirken, abseits des ĂĽberkommenen Ze-
remoniells der Gegnerschaft. Im Faustkampf findet, so lässt sich durchaus mit
Pierre Bourdieus praxeologisch ausgerichtetem Ansatz feststellen, der „doppelte
Prozess der Interiorisierung der Exteriorität und der Exteriorisierung der Inte-
riorität“111 statt, das, so notierte bereits Musil im Mann ohne Eigenschaften, ste-
108 Ebd.
109 Vgl. Fleig 2008, S. 19
110 Foucault 1994, S. 146
111 Bourdieu 2009, S. 147; Pierre Bourdieu notiert in Entwurf einer Theorie der Praxis auf der eth-
252 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440