Page - 265 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Image of the Page - 265 -
Text of the Page - 265 -
Umgebungskomponenten: Licht, Lärm
Dies ist denn auch einer der Gründe dafür, weshalb Brecht in die Literarisie-
rung des Boxens zentrale Umgebungskomponenten der Sportart miteinbezieht:
Licht und Lärm avancieren zu zentralen Funktionen des Boxens. Wolf-Die-
trich Junghanns merkt an, dass Brechts Verständnis von „Gesellschaft und Ge-
sellschaftskritik“217 in der Ausleuchtung des Kampfplatzes das „grundsätzlich
interessanteste Zeichen des Boxkampfes“218 darstelle; das grell herabstürzende
Licht stehe für „Visualität, Transparenz und Authentizität“219. Das Ringlicht
strahlt und verherrlicht nicht, wie noch das mächtige vertikale, Emotionen unge-
schützt ausstellende Licht beim Catchen, das Roland Barthes mit großen Sonnen-
schauspielen, mit der griechischen Tragödie und dem Stierkampf vergleicht. […]
Auch Brecht will etwas im Alltag Verborgenes zum Vorschein bringen, doch nicht,
um die Zuschauer in den Bann unbegreiflichen Schreckens zu ziehen, sondern um
Unklares und Bedrohliches rationaler Untersuchung und Erörterung auszusetzen.
Wie auf dem Labor- oder Seziertisch sollen auf beobachtende, experimentierende
Weise dem bloßen Auge unsichtbare oder undurchschaubare sozial-historische
Vorgänge und Verwicklungen […] bloßgelegt werden. Das Licht dient Brecht zur
Entmystifizierung.220
Bereits Mitte der zwanziger Jahre lässt Brecht in dem Gedicht Alsbald verließ
auch sein Aug einen zu Boden sinkenden Sportler auftreten, der, einer amorphen
Lärmkulisse ausgesetzt, „einzig noch sein Ohr anwachsend zum / Schallrohr //
Sammelnd in sich wie ein Phonograph jene feindlichen Laute / Äußerst ent-
fernten, doch äußerst rasenden Beifalls“221 vernimmt. „Niemand würde erwar-
ten, daß bei einer sportlichen Veranstaltung, etwa einem Boxkampf, die Lampen
verdeckt werden“222, weist Brecht noch im Exil in der Schrift Die Sichtbarkeit der
Lichtquellen auf die symbolische Verbindung hin. „Wie immer die Darbietungen
des neueren Theaters sich von sportlichen unterscheiden mögen, sie unterschei-
den sich von ihnen nicht in dem Punkt, wo das alte Theater es für nötig findet,
die Lichtquelle zu verstecken.“223
217 Junghanns 1998, S. 56
218 Ebd.
219 Ebd.
220 Ebd., S. 56f
221 Brecht 1993d, S. 348
222 Brecht 1993b, S. 239f
223 Ebd., S. 240 265
„Zeitfigur“
im
Ring:
Brechts
Diskurserweiterungen
|
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440