Page - 296 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Image of the Page - 296 -
Text of the Page - 296 -
Jersey City in einer eigens errichteten, mehr als 100.000 Zuschauer fassenden
Arena in einem als „Kampf des Jahrhunderts“462 apostrophierten und als erstes
Sportevent live im Radio übertragenen Duell seinen Titel gegen den Franzosen
Carpentier. „Ihr Kampf bringt die erste million dollar gate ein – nicht nur im
Boxen, sondern im Sport überhaupt – und schießt mit Einnahmen von insge-
samt 1.789.000 Dollar weit über das Ziel hinaus.“463 „In der 2. Runde kämpften
die beiden Männer wie verbissene Urmenschen“464, schildert der Ringbeobach-
ter Kosmopolit das Geschehen; in Runde vier streckt Dempsey, „ein Kämpfer
mit […] Urinstinkten“465, seinen Gegner mit „Trefferkombinationen von der
Schlagkraft einer Abrissbirne in den vorzeitigen Ruhestand“466. Dempsey bleibt
bis September 1926 Weltmeister467; der Titelverlust gegen Gene Tunney bleibt
auf Brechts Roman ohne Auswirkung, da der Stoff zu diesem Zeitpunkt vom
Autor bereits fallengelassen worden war.468
In Das Renommee spielen Erscheinungen des Ökonomischen ebenfalls eine
Rolle. Ausgangs- und Mittelpunkt der Darstellung ist die „Problematik des Ma-
chens“469 eines Boxers: George Carrare heißt hier der Held, ein Typ, so Brecht,
„wie Carpentier“470. Dem Entwurf A3 stellt Brecht ein „Demonstrandum“471
voran:
Der Roman Das Renommee behandelt das merkwürdige Bestreben aller Leute,
Helden zu erkennen, das heißt, einen guten Mann immer noch besser haben zu
wollen, als er ist und ihn mit allen Mitteln in einen Rekord hineinzuhetzen, bei
dem er am Ende versagen muß. Ein solcher Mann ist immer umgeben von einer
Sorte von Leuten, die ihrerseits alles tun, um ihr eigenes Renommee hochzupum-
pen oder, was noch viel schlimmer und schädlicher ist, ihr Renommee nicht zu
verlieren.472
462 Vgl. Meinhardt 1996, S. 135
463 Leppmann 1992, S. 261 (Hervorh. im Orig.); zur Historie des Kampfs Dempsey vs. Carpentier
vgl. Barnes 1985b, S. 134; Berg 1993, S. 12f; Holtemayer 2005, S. 33; Jeske 1984, S. 87f; Kohtes
1999, S. 45 u. 53; Leppmann 1992, S. 259
464 Kosmopolit 1927, S. 97
465 Ebd., S. 99
466 Kohtes 1999, S. 53
467 Vgl. Faust und Geist-Kapitel „Einleitung“
468 Vgl. Jeske 1984, S. 87
469 Berg et al. 1981, S. 225
470 Brecht 1989a, S. 423; alternativ nennt Brecht den Boxer „George Carras“ (ebd., S. 429), „Geor-
ge“ (ebd., S. 432), „George Capaqua“ (ebd., S. 435)
471 Jeske 1984, S. 89
472 Brecht 1989a, S. 430
296 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440