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Er hielt seinen Körper gewandt und kräftig und bestimmte in jeder Einzelheit
über ihn. Er dachte auch mehr über ihn nach, als es unter den geistigen Menschen
seiner Zeit üblich war. Sport und Hygiene war für ihn eins, die Einteilung seines
Tages war davon bestimmt, er lebte nach ihren Vorschriften. […] Man verringert
nicht seine Bedeutung, wenn man das Agonale an ihm betont. Seine Haltung zu
Männern war eine des Kampfes.42
Die Parallelisierung von Werk und Biografie erfährt bisweilen Überbewertun-
gen in bizarren Ausmaßen.43 Die Tendenz kristallisiert sich bereits früh in ei-
nem Interview heraus. Ein Journalist befragt Musil 1926 über dessen neuen
Roman, der zu dieser Zeit noch den Arbeitstitel Die Zwillingsschwester trägt
und der vier Jahre später in einem ersten Teilband als Der Mann ohne Eigen-
schaften erscheinen wird. An welcher Stelle er, Musil, den Roman innerhalb der
zeitgenössischen Epik einordne, will der Fragesteller wissen. In Musils Antwor-
ten in dem in der Literarischen Welt publizierten Gespräch ist symptomatisch
eine zweite, in Klammer gesetzte Textebene eingezogen, die aus wohl launig
intendierten Anmerkungen des Journalisten besteht. Als Reaktion auf die Frage
nach der literarischen Einordnung „taumelt“44 Musil demnach „wie unter einem
gutplatzierten Kinnhaken und hat nur noch die Kraft zu sagen […]: Erlassen
Sie mir die Antwort“45. Der Interviewer, der offenbar „Weltmeister mit Welt
verwechselt“46, beginnt, Musil „auszuzählen, in der Hoffnung […] im Finish zu
siegen“47. Die Konfrontation en face endet zugunsten Musils: Der „Champion
der geistigen Boxkämpfer schlägt den Interviewer knock-out“48.
Musils boxliterarische Schriften sind nicht ohne Widerstände aufzuschlüs-
seln; die aufgezeigten Absolut- und Entgegensetzungen von Körper und Geist
sollen auf dem Feld der kulturanalytischen Musil-Diagnostik wohl helfen, die
Klippen des Abstrakten in Form leicht nachvollziehbarer Veranschaulichung zu
überwinden: Musil „ließ sich angeblich gerne den Bizeps betasten“49. Der Blick
scheint perspektivisch verengt. Bereits Anfang 1914 notiert der Autor in seinem
Tagebuch eine Momentaufnahme, die Reflexionsräume über das Biografische
hinaus öffnet; Musil beobachtet die Sportaktivitäten junger Parkbesucher im
Berliner Ortsteil Grunewald:
42 Canetti 1988, S. 158
43 Vgl. Kraft 2003, S. 26f; Baur 1980, S. 100
44 Fontana 1983, S. 383
45 Ebd.
46 Fischer 2001, S. 107
47 Fontana 1983, S. 383
48 Ebd.
49 Baur 1980, S. 102
310 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440