Page - 330 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Image of the Page - 330 -
Text of the Page - 330 -
eine Absage wie jenen zeitgenössischen Behauptungen, die dem Athleten im
„Triumph des Sports“222 die Annäherung und „Rückgewinnung eines Stücks
Natur“223 in Form des eigenen Körpers in Aussicht stellen. Der Naturraum hat,
so oder so, ausgespielt. In Als Papa Tennis lernte folgert Musil:
Aber so ist man auf einen Einfall gekommen, der sowohl fĂĽr die Geschichte der
Kultur wie fĂĽr die des Sports sehr bezeichnend ist: Man baut nicht nur seit einem
Jahr an einem groĂźen olympischen Stadion, sondern opfert diesem auch die letzten
Reste des Praters.224
Musils Interesse zielt nicht auf die literarische Ausgestaltung des faustsportli-
chen Zwists im Zirkusrund. Der Autor situiert den Sport im Spannungsbereich
sozialer Faktoren und Einflusssphären; die damit einhergehenden Wechselwir-
kungen zwischen Sport und Gesellschaft stöbert er auch in den Rängen der
Arenen und Stadien auf, inmitten des Tumults, im Fliegen der Fäuste.
Weitere Topos-Linien jenes Geflechts, das, so Foucault in Die Ordnung des
Diskurses, weitestgehend von „äußeren Möglichkeitsbedingungen“225 abhängt,
bilden in Musils Schreiben ĂĽber Boxen Publikumskulisse und Massenagitation.
GegenĂĽber der massenpsychotischen Begeisterung fĂĽrs Boxen und seiner be-
sonderen Mischung aus Sport, Bombast und Duell nimmt Musil eine vorsich-
tige Haltung ein; die vorgebliche Evidenz jener sozialpsychologischen Denk-
schulen, deren Anhänger in den 1920er-Jahren verstärkt mit dem Ziel antreten,
durch Sport „gute, ganze und einheitliche Menschen hervorzubringen“226, zieht
der Erzähler radikal in Zweifel. Musils Texte bringen die „belastende Vieldeu-
tigkeit des menschlichen Handelns“227 somit auch selten zur „absoluten Ein-
deutigkeit“228. Ein hoher Grad an Skepsis ist deshalb angebracht, scheint Musil
in Als Papa Tennis lernte das „ganze Geheimnis“229 enthüllen zu wollen, wie der
„Geist des Sports“230 entstanden sei – nämlich „nicht aus der Ausübung, sondern
aus dem Zusehen“231. Nur auf den ersten Blick verfällt Musil in vereinfachende
Wahrnehmungsschemata. Das entworfene Bild lässt er nämlich sogleich wie
222 Fleig 2005, S. 89
223 Gamper 1999, S. 138; vgl. auch Gamper 2003, S. 47
224 Musil 1978h, S. 687
225 Foucault 1977, S. 37
226 Musil 1989a, S. 214
227 Krockow 1974, S. 22
228 Ebd.
229 Musil 1978h, S. 691
230 Ebd.
231 Ebd. (Hervorh. im Orig.)
330 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440