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chotechnisch weitgreifendere Ideenfolgen kreisen in Foucaultscher Terminolo-
gie um den Körper als einer „Fläche, auf dem die Ereignisse sich einprägen“449;
der personalen Idee des Ich versucht der Autor nicht die „Schimäre einer sub-
stantiellen Einheit“450 zu unterstellen. Musil geht es um die Mobilisierung der
psychophysischen Reserven – um, so der Autor im Bundesheere-Essay, die „Be-
wirtschaftung aller Kräfte“451.
Komplexe GefĂĽge: Mach, MĂĽnsterberg, Lewin, Klages
Musil variiert und erweitert in Psychotechnik und ihre Anwendungsmöglichkeit im
Bundesheere die psychotechnischen Forschungen von Ernst Mach, Kurt Lewin
und der, so Musil, Körper-Geist-„Leistungsingenieure“452 Fritz Giese, Ludwig
Klages und Hugo MĂĽnsterberg, dem Wegbereiter der Psychotechnik-Wissen-
schaft, der bereits 1914 klagte, dass der Wissenspraxis nichts ferner läge, als
die „Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit“453 zu untersuchen. Anzustreben seien,
so Münsterberg in Grundzüge der Psychotechnik, „Überwindung der seelischen
Leere, […] Erregung durch das Erlebnis selbst, […] fortwährende Erfüllung
von Bemühungen, das Vergessen alles Störenden und das gesteigerte Bewußtsein
der eigenen Persönlichkeit“454. In seinem Psychotechnik-Essay widmet sich Mu-
sil unter dem Eindruck seiner Lektüre der Schriften Ludwig Klages’ als „erster
Autor“455 überhaupt intensiv den diskursiven Zusammenhängen von Sport und
Psychotechnik456: Klages erklärt in seiner populären Betrachtung Der Geist als
Widersacher der Seele Leib und Seele zur festen Einheit; der Geist als geradezu
zersetzendes Element, protokolliert Klages, versuche jedoch, „den Leib zu ent-
seelen, die Seele zu entleiben und dergestalt endlich alles ihm irgend erreichbare
Leben zu ertöten“457, auch deshalb, weil „Leib und Seele doch untrennbar zu-
sammengehörige Pole der Lebenszelle“458 seien. Besonders im Sport ortet Mu-
sil, der sich in den Tagebüchern als „Typus des kommenden Gehirnmenschen“459
449 Foucault 2000, S. 174
450 Ebd.
451 Musil 1980, S. 181
452 Ebd., S. 182
453 Zit. n. Hoffmann 1997, S. 234; vgl. Vöhringer 2007, S. 25–32
454 MĂĽnsterberg 1914, S. 621
455 Fleig 2008, S. 181; Ernst JĂĽnger und Walter Benjamin setzen sich laut Anne Fleig ebenfalls frĂĽh
mit Psychotechnik auseinander, vgl. ebd., S. 191f
456 Vgl. Baur 1980, S. 100; Sloterdijk 1995, S. 333; Sontheimer 1978, S. 48
457 Klages 1929, S. 7
458 Ebd.
459 Musil 1976a, S. 2
358 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440