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angeführt, wählt er keinen festen Beobachterstandpunkt, sondern nimmt die
„Natur der Verbindung“704 in den Blick, die „zwischen diesen heterogenen Ele-
menten bestehen kann“705. Boxen mit seinem beharrenden Changieren zwischen
psychischen und physischen Spannungszuständen, die sich entlang unterschied-
licher Diskurs- und Praxisfelder gruppieren, dient dabei als eine geeignete Pro-
jektionsfläche. Die viel beschworene boxerische Wettkampf-Intelligenz, die sich
in den Augen eines Massenpublikums in den athletisch durchformten und mit
eisenhartem Willen ausgestatteten Boxsportlerkörpern zeige, leuchtet Musil
mit dem Lichtkegel seines unbarmherzigen Desillusionismus aus. Körperliches
Treiben, räumt Ulrich gegenüber seiner Zuhörerin Bonadea ein, sei im Grunde
„ein grauenvolles Gefühl“706:
Das körperliche Treiben komme ja wirklich schon zu sehr in Mode, und im
Grunde schließe es ein grauenvolles Gefühl ein, weil der Körper, wenn er ganz
scharf trainiert sei, das Übergewicht habe und auf jeden Reiz ohne zu fragen, mit
seinen automatisch eingeschliffenen Bewegungen so sicher antworte, daß dem Be-
sitzer nur noch das unheimliche Gefühl des Nachsehens bleibt, während ihm sein
Charakter mit irgendeinem Körperteil gleichsam durchgeht.707
In der von spezifischen sportlichen Kontexten bestimmten Tätigkeit des Boxens
spürt Musil ideale Umschlagphänomene auf, Anordnungen von Tempo, Kraft,
Kampf, Körper, Machtterrain und Trainingspraxis. Boxen zeigt sich in Musils
Schriften als Balanceakt, bei dem Selbstkontrolle und Selbstdistanz, Hand-
lungsautomatismen und reflektierendes Bewusstsein vor dem Hintergrund der
„Unfestheit des allgemeinen Zustandes“708 allzu leicht aus dem Gleichgewicht
geraten können – und dürfen. Boxen liefert Beispiele für die These. Vor dem
angedeuteten Gedankenhorizont erscheint die Figur des Faustkämpfers, mit der
Ulrich in signifikanter Synchronie steht, im Fluchtpunkt modernen Denkens.
Boxen ist nicht im politischen und sozialen Vakuum der Zeit angesiedelt. Boxen
ist ein mit betonter Körperlichkeit, (versteckter) Emotionalität und (funktiona-
lisierter) Rationalität ausgetragener Akt der Konfrontation, durch den zentrale
Topoi aufgerufen werden: Kampf und Kraft, Konkurrenz und Körper, Kaltblü-
tigkeit und Kalkül, Technik und Taktik, Routine und Raptus. Das kombattante
Agieren der Athleten verweist zugleich auf die dahinterliegende Weimarer Le-
704 Ebd.
705 Ebd.
706 Musil 1989a, S. 30
707 Ebd., S. 30
708 Ebd., S. 454 387
Primat
der
Reflexion:
Musils
Reorganisation
des
Boxens
|
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440