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sehen ist die Liebe. Solange das Kind die Mutter nur um der
Nahrung willen begehrt, seine Seele nur noch Nahrungs-
begierde ist, ist sie noch nicht Gegenstand des Kindes;
erst indem die Liebe erwacht, die Mutter um ihrer selbst
willen Gegenstand der Anschauung und darum der Liebe
wird, erst da entsteht der Unterschied zwischen Subjekt
und Objekt, aber dieser Unterschied ist eben in einem die
Einigung des Liebenden mit dem Geliebten. Die Liebe, wie
sie absolutes Substantiv, Gott, ist, ist ebensowohl Grund,
Anfang, Prinzip des Lebens und Seins als des Todes und
Nichtsseins; wiefern sie Unterscheidung ist, 1 ist sie Grund
des Daseins, inwiefern aber Einheit und Einigung, Grund
des Nichtseins (des Bestimmten, Besondern, Endlichen) wie-
wohl, indem beide Bestimmungen in der Liebe eins sind,
auch Tod und Leben ein jedes beide zugleich und zusam-
men zu ihrem Grunde und Prinzip haben und selbst jede
Bestimmung für sich wieder als der Grund beider, des
Seins und Nichtseins, gefaßt werden kann. Du sagst in
deiner verhüllenden Bilder- und Blumensprache, Gott
habe die Welt aus Liebe geschaffen; was hat nun wohl
dieses Bild für einen andern Sinn als diesen: Das Dasein
beruht darauf, daß Gott sich von sich, unterscheidet, der
Grund des Daseins ist der Unterschied von Gott, kannst2
du dir denn eine Liebe ohne Unterscheidung vorstellen,
und heißt also der Satz: Gott erschuf die Welt aus Liebe,
etwas anderes als: Gott erschuf die Welt aus Unterschei-
dung von sich? Kannst du nun aber von der Unterschei-
dung von Gott absondern den Grund des Nichtseins? Ist
nicht der Unterschied von dem Unendlichen der Grund
alles Endlichen3, aller Einschränkung und Verneinung?
Ist Verneinung etwas anderes als Abwesenheit, Nichtsein?
Beruht also nicht auf der Unterscheidung, der Liebe der
Grund des Daseins wie des Nichtseins, des Lebens und
Todes ? Anerkennst du Gott als den Urheber oder Grund
deines Daseins, so mußt du ihn auch als Grund deines Nicht-
seins anerkennen; anerkennst du aber nicht ihn, sondern
den Apfelbiß Adams oder die Naturordnung und4 blinde
1 ist, H gestrichen
- Gott, kannst: Gott. Kannst H
3 alles Endlichen: aller Endlichkeit H
4 Naturordnung und H gestrichen
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften