Page - 247 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Volume 1
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Unterscheiden in ununterbrochner Einheit mit sich
bleibende und darum zeitlose Tätigkeit. Was in der
Empfindung Sukzession, Nacheinandersein ist, ist in dem
Denken Entwicklung, Besonderung, qualitative Weiter-
bestimmung, aber nicht quantitatives, zeitliches, durch
Momente getrenntes Nacheinander. Ist denn das Jetzt eine
innere wesentliche Bestimmung des Gedankens wie der
Empfindung? Nur das, in dem die Zeit selbst ist, d. h.
dessen innere Bestimmung sie ist, ist in der Zeit; ist denn
aber wirklich der Gedanke durch die Zeit getrennt von
andern Gedanken, wie diese gegenwärtige Empfindung
es ist von den vorangegangnen und nachfolgenden? Ist
Gegenwart und Vergangenheit wie in den Empfindungen,
so in den Gedanken? Die Empfindung vergeht; verschwin-
den und vergehen auch die Gedanken, so daß der nächste
nur entsteht, weil der erste nicht mehr ist? Schließen sich
die Gedanken* aus? Ja, ich muß dich fragen; Ißt und trinkst
du vielleicht im Denken? Verhältst du dich vielleicht, weil
du soviel vom Denken in der Zeit sprichst, ebenso zu den
Objekten des Denkens wie im Essen zu den Speisen?
Sind die Gedanken Empfindungen? Sind die Gedanken
Affirmationen deines Selbst, Bejahungen deines getrennten
Fürdichseins, wie es die Empfindungen sind? Du machst
daher das Denken zum Empfinden, nimmst den Schein,
den das Individuum macht, für das Denken selbst, wenn
du nicht erkennst, daß es eine zeitfreie Tätigkeit ist.
In der Empfindung und im Sinne verhält sich, wie gesagt,
das einzelne Selbst nur als einzelnes; es wird ihr daher auch
nur einzelnes Objekt; einzelnes kann aber auch nur einzeln,
als gegenseitig sich ausschließend, daher nacheinander
Objekt werden. Das Denken aber ist keine Tätigkeit der
Linie und Länge nach, sondern eine Tätigkeit, deren
Mittelpunkt überall ist, eine Mitte, aber nicht von Extre-
men, sondern eine absolute, reine Mitte, unendliche Gegen¬
* Anmerkung des Herausgebers. Wenn der Verfasser vom
Denken spricht, so meint er darunter nicht das bestialische
Denken, jenes Denken, welches auch den Tieren zukommt
und bei welchem freilich auch die Menschen oft stehenblei-
ben, nämlich sinnliches Vorstellen, wo Bilder kommen und
vergehen, sondern die Tätigkeit der Vernunft, das Denken,
dessen Objekt Wahrheit , Ewiges ist.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften