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delirieren von Stufe zu Stufe, von Grenze zu Grenze, d. h.
ein faselhaftes kindisches Wechselspiel von gesetzter und
wieder aufgehobner Grenze, geben. Indem so scheinbar
Zweck in die andern Welten kommt, so verschwindet
dagegen die Erde als ein zweck-, wert- und bedeutungsloser
Gran in diesem bis ins Blaue hinein langweilig fortfließenden
Strome der eingebildeten Vollkommenheiten. Denn da
die letzten Stufen der Vollkommenheit erst der Zweck des
Erdenlebens wären, die letzten Stufen aber nie letzte
werden dürfen und können — denn als letzte Stufen
wären sie selbst Grenzen und Schranken, also immer,
obwohl die höchsten Stufen der Vollkommenheit, doch
nur aufzugebende, unvollkommne Stufen —, so hat
die Erde keinen Zweck, denn ein Zweck, der nicht wirklich
ist, nie erreicht wird, also nie ist, der statt Grenzen zu
setzen, wie es die Natur des Zwecks erfordert, alle Gren-
zen, alle Bestimmtheit und Determination ins Nichts ver-
schwinden läßt, ist nur ein eingebildeter, kein wirklicher
Zweck, folglich nicht Zweck. Doch jene Einbildung ist
ebenso in ihrem Grunde vernunftlos. Denn sie entsteht da-
her, daß das höhere und vollkommnere Wesen über den
sinnlichen Individuen selbst wieder als ein begrenztes,
individuelles Wesen gefaßt wird, daß die Individuen das,
was mehr und höher ist als die sinnlichen existierenden
Wesen, teils wieder als sich selbst, wie sie in der Zukunft
sind, teils als andere individuelle Wesen fassen. Sie erkennen
nicht, daß eben die höhern und vollkommneren Wesen der
Geist, die Vernunft sind oder die Menschheit als ein ewig
vollendetes Ganzes, daß Vollkommenheit nur ist in der
Einheit des Ganzen, daß Individuen nie vollkommen,
d. i . absolut, sein können, sondern nur Vollkommnes zum
Objekt ihres Geistes machen können.
Nur in der Anschauung des Ganzen, nur im Denken,
in der genußreichen Erkenntnis des Vollkommnen bist
du selbst vollkommen. Andre Vollkommenheit wird dir als
sterblichem, einzelnem Individuum nun und nimmermehr
zuteil. Doch die Richtigkeit und Eitelkeit deiner Vorstel-
lungen über den gegenwärtigen Gegenstand unsrer gegen-
wärtigen Betrachtung wird noch mehr in folgender Erörte-
rung erhellen, schwerlich freilich dir. Wie sollte das auch
möglich sein, da du die merkwürdige Eigenschaft an dir
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften