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Sonnenlichte des wirklichen Lebens und der Vernunft
erholen und in denen sie nur sich selbst bespiegeln1. Es
wird in jener Vorstellung, die die ganze Natur zu einem
wohleingerichteten Palais oder Hotel umschafft, wo man
von Stube zu Stube eben fortspaziert, ganz übersehen das
furchtbar Ernste, Finstere und Nächtliche in der Natur.
Gott hat nicht als Finanzrat oder Ökonom die Welt
erschaffen; aus der Nacht in Gott ging die Nacht in der
Natur hervor.2 Gott vergaß sich selbst, als er die Welt
erschuf ; wohl mit Wille und Bewußtsein, doch nicht aus
Wille und Bewußtsein, sondern aus seiner Natur, im
Rücken seines Bewußtseins gleichsam, brachte er die
Natur hervor. Nicht als klugberechnender Hausvater und
Werkmeister, als sich selbst vergessender Dichter entwarf
er das große Trauerspiel der Natur.
Wenn man die altern Prinzipien der Erkenntnis gelten
läßt, so darf man ihnen zufolge wohl mit Recht behaupten,
daß das, was nicht der zureichende Grund der Erkenntnis
einer Sache ist, auch nicht der zureichende Grund seines
Wesens und Daseins sein könne. Gott aber, nur als per-
sönlicher Gott gefaßt, nur unter der Bestimmung der Per-
sönlichkeit gefaßt,3 Gott nur antipantheistisch, nur als
gegensätzliches Extrem der Substanz gedacht, ist nicht
der zureichende Erkenntnisgrund der Natur, folglich auch
nicht der zureichende Grund ihres Wesens und Daseins.4
Geschichte hat nur das, was selbst das Prinzip seiner Ver-
änderungen ist, wTas allen seinen Veränderungen als all-
gegenwärtige wesentliche Einheit zugrunde liegt, dessen
Veränderungen daher innere, immanente, durch es selbst
bestimmte, mit ihm selbst identische Veränderungen sind.
Der Stein, der aus der Hand eines Bettlers in die Hand
eines Königs kommt, aus Amerika nach Europa und von
da nach Asia gelangt, hat deswegen noch nicht eine Ge-
schichte, denn er selbst ist nicht das Prinzip dieser Ortsver-
änderungen; und ebendeswegen, weil er nicht selbst das
1 liebliche . . . bespiegeln: nur sich selbst bespiegeln und
liebliche Vergißmeinnicht pflücken B
2 aus der . . . hervor. Fehlt in B.
nur unter . . . gefaßt, Fehlt in B.
'* In B folgt Gedankenstrich.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften