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du übertreibst es; unmöglich kann ich dir eine solche
Summe bezahlen, wenn ich gleich aus Mitleid und Teil-
nahme an deinem Lose es von Herzen gern täte", wird
von ihr, weil er wahrhaftig ist, als ein schlechter, ein in-
humaner Mensch verurteilt und verstoßen; ein Schuldner
dagegen, der die unverschämte Schuldforderung, wenn er
gleich nie imstande ist oder gar nicht einmal im Sinne hat,
sie zu bezahlen, ohne Umstände mit nächsten zu berichtigen
verspricht — ein „nächstens", das sich von Tag zu Tag,
von Jahr zu Jahr bis in eine unerreichbare Ferne verzieht —,
wird von ihr als ein ganz charmanter Mann, ein guter1
Mann, ein Mann, der Einsicht hat und mit den Leuten um-
zugehen weiß, gefeiert und verehrt.
Die adeligen Geschlechter der alten Völker verloren
darum das Regiment, ja zunächst allen Einfluß auf den
Gang der öffentlichen Angelegenheiten, und auf sie sukze-
dierte die große Plebejerherrschaft. Sie wurden überstimmt
von den demagogischen Großsprechern der nachfolgenden
Zeiten. Der Geist und damit die Zeit unsterblicher Bücher
war dahin; an die Stelle der klassischen Werke traten jetzt
Peregrine und Appolloniusse von Tyana, Orakelstimmen,
Dämone, Engel, kurz, unsre lieben, wohlbekannten Geister,
diese physiologischen Farbenerscheinungen des mensch-
lichen Geistes. Großes hatte die Menschheit vollbracht;
um sich von ihren Anstrengungen zu erholen, beschäftigte
sie sich jetzt mit den Spielen der Phantasie, wie der fran-
zösische Philosoph Malebranche in seinen müßigen Augen-
blicken, um seinen Kopf nicht anzustrengen, mit Kinder-
spielen sich unterhielt, wie Karl V. nach Ablegung seiner
Kaiserkrone zum Zeitvertreibe sich mit der Verfertigung
possierlicher Puppen beschäftigte, deren Bewegungen und
Stellungen die unwissenden Mönche so sehr frappierten,
daß sie in ihnen nur Wirkungen seiner Verbindung mit
höhern Mächten zu sehen glaubten. Sie versank in den Zu-
stand der Schlaftrunkenheit, worin der Mensch den Maß-
stab der Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Ein-
bildung verliert, selbst das Gesumse einer Schnacke oder
das Geplätscher einer in sein Waschwasser gefallnen Maus
als bezaubernde Choralklänge aus höhern Regionen ver-
1 herzensguter C
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften