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Regel zu gelten, macht er es lieber wie jener Bauer, der aus
Ärger, daß er es keinem recht machen konnte, seinen
Esel in den Bach warf. Ja, wenn ihm sein eigner Leibarzt
dringend anempfiehlt, zur Stärkung und Belebung seiner
schwachen Nerven täglich einen Schoppen Wein mehr
zu trinken als seine Tischgenossen, so getraut er es sich
doch nicht zu tun, aus Rücksicht vor dem: Was werden
wohl die Leute davon sagen?, wenn nicht ein anderer, der
beherzter als er ist, zugleich aber natürlich ein Mann von
vieler Autorität sein muß, damit er ohne Scheu sich auf
sein Beispiel berufen kann, ihm einen Schoppen Wein
vortrinkt. Mancher wäre ein Talent, wenn er den Mut
hätte, eines zu sein, wenn er nicht erst warten wollte,
bis ihm ein öffentliches Patent über die Ausübung seines
Talentes ausgefertigt würde. Aber ehe er auch nur einen
Sechser ausgibt, dreht er ihn dreimal bedächtlich herum
und besieht ihn oben und unten, ob er auch gerade so wie
die gangbaren Sechser aussieht, aus Besorgnis, er möchte
gar für einen Falschmünzer gehalten werden, wenn er
andre als schon gebrauchte Münzen ausgibt. Und so kommt
denn richtig der arme Teufel um sein bestes Gut, sein
Talent; denn was man zu lange für sich selbst behält,
das gehört einem zuletzt nicht mehr an, und eben das
Talent gehört in die Klasse von den Gütern, deren Besitz
und Gebrauch unzertrennlich sind.
Wie ganz anders macht es dagegen der Geist! Frei und
sorgenlos wandelt er seinen Weg, nur der untrüglichen
Wünschelrute seines Genius folgend, die ihm selbst noch
unter dem Boden, über den der Haufe, nicht ahnend,
welche Schätze er birgt, blindlings dahintappt, Quellen
des ewigen Lebens finden läßt. Er geht heute gerade und
morgen krumm, wie's ihm eben gut dünkt, nie der großen
Landstraße nach, auf der die Menge in eng geschlossnen
Reihen dahermarschiert, damit ja jeder immer in die
Fußtapfen seiner Vorgänger tritt und, mit genauen Post-
karten in der Hand, nur mit gespannter Aufmerksam-
keit das ungeduldig erwartete Ziel, die sichere Herberge,
verfolgend, nicht einmal, um keine Zeit zu verlieren, einen
Blick auf die herrlichen Naturschönheiten wirft, die stets
abseits der Heerstraße liegen. Er folgt nur dem schönen
Laufe des Stromes seiner unerschöpflichen innern Lebens-
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften