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Menschheit emporloderten, sie wurde uns nur durch die
verdammten Philosophen — wir wollen zu Gott hoffen: auf
nicht lange Zeit — entrissen. Ein Philosoph ist ein ganz fri-
voler Mensch, die Quintessenz aus Voltaire und Lukian,
denn wenn die Welt die lateinischen Exercitia und deut-
schen Aufsätze, die sie noch auf der Schule verfertigte und
[die] allerdings für ihre Zeit die Note „Perquam bene [sehr
gut]" verdienten, auch noch in den reiferen Jahren in der
Tasche mit sich herumschleppt und bei jeder Gelegenheit
vor sich selbst bewundernder Eitelkeit hineinblickt, um
über den Dokumenten ihrer Fähigkeiten die schwere Auf-
gabe ihrer Ausbildung und Verwirklichung, über ihrer eh-
maligen Vernunft ihre gegenwärtige zu vergessen, so wirft
sie dagegen der frivole Philosoph, der die Würdigkeit der
Existenz nur nach dem innern Wert und Gehalt bemißt und
sich auf seine gegenwärtige Produktivkraft allein stützt,
schonungslos in das Feuer und sieht mit einer wahrhaft
diabolischen Seligkeit zu, wie die feuern Andenken ein
Raub der verzehrenden Flammen werden. Kurz, ein Philo-
soph ist ein Mensch, der eben durchaus nicht in unseren
Kram paßt.
Können uns also die Abenteuer und fata [Schicksale],
die von jeher der Geist zu bestehen hatte, noch in Ver-
wunderung setzen? Kann es uns wundern, daß ein Jordan
Bruno und ein Vanini auf dem Scheiterhaufen endeten?
Daß einst der Bischof Virgüius, weil er Antipoden sta-
tuierte, von Bonifatius als ein Zerstörer der Religion ver-
klagt und von dem Papste mit dem Bannstrahl bedroht
wurde? Daß Galilei in Ketten geworfen wurde, weil er
den Glauben an die Unbeweglichkeit des Erdballs umstieß? ,
Daß Harvey wegen seiner Entdeckung der Zirkulation
des Bluts sich vor Gericht sogar verteidigen mußte? Daß ;
Balthasar Bekker, weil er „dem Teufel seine Macht nahm }
und ihn von der Erde in die Hölle bannte", als Atheist
verfolgt, seines Amtes entsetzt und von seiner Kirche aus¬
geschlossen wurde? Daß Herder bei seinen frommen Amts-
kollegen schon deswegen, weil er keine Perücke, wie sie, 5
trug, sich der Neologieund Heterodoxie verdächtig machte?
Daß es zur Zeit des Peter Ramus in Paris für eine straf-;
liehe, ja, kriminelle Neuerung galt, den lateinischen Buch-
staben Q richtig auszusprechen, statt Kiskis: Quisquis,
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften