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daß er aus einem gewissen „realistischen Tick" es behaglich
finde, sich überhaupt den Menschen aus den Augen zu
rücken. „So werde ich", sagt er, „immer gerne inkognito
reisen, das geringere Kleid vor dem bessern wählen und
in der Unterredung mit Fremden oder Halbbekannten
den unbedeutenderen Gegenstand oder doch den weniger
bedeutenden Ausdruck vorziehen, mich leichtsinniger be-
tragen, als ich bin, und mich so, ich möchte sagen, zwischen
mich selbst und zwischen meine eigne Erscheinung stellen."
Es ist allerdings eine traurige Erscheinung, wenn wir in
dem Leben mancher großer Schriftsteller Handlungen fin-
den, die nicht im Einklang mit dem Geiste stehen, der aus
ihren Schriften zu uns spricht. Aber man hüte sich vor der
Roheit und Gemeinheit, solche Schriftsteller ohne wei-
teres, wie es so oft geschieht, mit dem empörenden Prädi-
kate schlechter Menschen zu bezeichnen. Es gibt nun ein-
mal solche Menschen oder, wenn ihr lieber wollt, solche
sonderbare[n] Käuze, die ihr Leben und Wesen einzig und
allein in die schriftstellerische und1 überhaupt geistige
Tätigkeit setzen, die nur in der geistigen Produktivität
in ihrem eigentümlichen Elemente sind. Bei manchen
dieser Käuze ist ihr Leben fast nichts andres als der Zu-
stand ihrer Geistesabwesenheit. Sie verlieren auf der hohen
See der geistigen Produktivität, wo dem Menschen die
Idee der Unendlichkeit gegenwärtig ist, denn sie erhebt
ihn über die Schranken der Zeit und des Orts, über die
Sorgen der Gegenwart und die Fesseln lästiger Um-
gebungen, jene Erdschollen aus dem Gesichte, auf denen
sonst der Mensch festen Fuß faßt und seine kleinliche
Philisterwelt aufbaut. Das gewöhnliche Leben ist für sie
nichts als ein lästiger unverschämter Bettler, der sie immer
gerade zur ungelegensten Zeit aus ihren schönen Phantasien
oder tiefen Meditationen durch seine ungebührlichen For-
derungen herausreißt; alle ihre Handlungen sind nichts
als Pfennige, höchstens Kreuzer und Groschen, die sie aus
der reichen Goldbörse ihres Geistes dem zudringlichen Bett-
ler unwillig hinwerfen, um sich ihn vom Halse zu schaffen.
Thaies, mit dem das Licht der Wissenschaft über
Griechenland aufging, bemerkte einst, wie er eben die Ge-
1 Fehlt in C. Statt dessen dort Komma.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften