Page - 11 - in Tonka
Image of the Page - 11 -
Text of the Page - 11 -
machen müßte:
»Ich mußte mir doch etwas verdienen.«
Ach, dieses Einfachste!
Welch feiner Esel war er und welche steinere Ewigkeit lag in dieser so
gewöhnlichen Antwort.
Wieder ein andermal war er mit Tonka heimlich spazierengegangen; sie
machten Ausflüge an dem freien Tag, den sie zweimal im Monat hatte; es war
Sommer. Als der Abend kam, fühlte man die Luft gerade so warm wie das
Gesicht und die Hände, und wenn man im Gehen die Augen schloß, glaubte
man sich aufzulösen und ohne Grenzen zu schweben. Er beschrieb es Tonka,
und da sie lachte, fragte er sie, ob sie es verstünde.
Oh, ja.
Aber da er mißtrauisch war, wollte er, daß sie es ihm mit eigenen Worten
beschreibe; und das vermochte sie nicht.
Dann verstehe sie es auch nicht.
O doch – und plötzlich –: man müßte singen.
Nur das nicht! Doch! So zankten sie hin und her. Und schließlich begannen
sie zu singen, wie man ein Corpus delicti auf den Tisch legt oder einen
Lokalaugenschein vornimmt. Herzlich schlecht und aus einer Operette, aber
zum Glück sang Tonka leise, und er freute sich über dieses kleine Zeichen
von Takt. Sicherlich, sagte er sich, war sie bloß einmal im Leben im Theater,
und seither ist diese elende Musik für sie Inbegriff der Vergoldung des
Daseins. Aber sie hatte sogar diese paar Melodien nur von ihren früheren
Freundinnen aus dem Geschäft gehört.
Ob sie ihr denn wirklich gefielen? Es ärgerte ihn, wenn sie durch irgend
etwas noch mit dem Geschäft zusammenhing.
Sie wußte nicht, was es war, und ob diese Musik schön sei oder dumm;
bloß den Wunsch weckte sie in ihr, selbst einmal auf demTheater zu stehen
und mit ganzer Kraft die Leute glücklich oder unglücklich zu machen. Das
war nun vollends lächerlich, wenn man die gute Tonka dabei ansah, und er
wurde so unlustig, daß sein Singen rasch zu einem Brummen absank. Da
brach Tonka jäh ab; auch sie schien es zu fühlen, und sie gingen eine Weile
schweigend nebeneinander her, bis Tonka stehen blieb und sagte: »Das ist es
gar nicht, was ich mit dem Singen meinte.« Und da in seinen Augen ein
kleines Zeichen der Güte antwortete, begann sie abermals leise zu singen,
aber diesmal waren es Volkslieder ihrer Heimat. Sie schritten dahin, und diese
einfachen Weisen machten so traurig wie Kohlweißlinge im Sonnenschein.
11
back to the
book Tonka"
Tonka
- Title
- Tonka
- Author
- Robert Musil
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.8 cm
- Pages
- 46
- Categories
- Weiteres Belletristik