Page - 12 - in Tonka
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Und da hatte nun mit einemmal natürlich Tonka recht.
Nun war er es, der nicht ausdrücken konnte, was mit ihm geschah, und
Tonka, weil sie die gewöhnliche Sprache nicht sprach, sondern irgend eine
Sprache des Ganzen, hatte leiden müssen, daß man sie für dumm und
unempfindlich hielt. Damals war es ihm klar, was es bedeutet: Lieder fallen
ihr ein. Sie kam ihm sehr einsam vor. Wenn sie ihn nicht hätte, wer würde sie
verstehn? Und sie sangen beide. Tonka sagte ihm den fremden Text vor und
übersetzte ihn, dann faßten sie sich bei der Hand und sangen wie die Kinder.
Wenn sie eine Pause machen mußten, um Atem zu schöpfen, gab es jedesmal
auch ein kleines Verstummen dort vor ihnen, wo sich die Dämmerung über
den Weg zog, und wenn das alles auch dumm war, war der Abend eins mit
ihren Empfindungen.
Und noch ein andermal saßen sie an einem Waldrand, und er sah bloß
durch einen Spalt der Lider, sprach nichts und hing seinen Gedanken nach.
Tonka erschrak und fürchtete, ihn wieder verletzt zu haben. Ihr Atem hob sich
mehrmals, weil sie nach Worten suchte, aber ihre Scheu hielt sie zurück. Und
so war lange nichts zu hören als das quälende Lallen der Waldgeräusche, das
in jeder Sekunde anderswo anhebt und verstummt. Einmal flog ein brauner
Falter an ihnen vorüber und setzte sich auf eine hochgestielte Blume, die bei
der Berührung zitterte und mehrmals hin und her schwankte, bis ihre
Bewegung plötzlich stillstand wie ein abgebrochenes Gespräch. Tonka
drückte ihre Finger fest in das Moos, auf dem sie saßen; aber nach einer Weile
richteten sich die kleinen Stengelchen wieder auf, einer nach dem andern in
Reihen, und nach abermals einer Weile war jede Spur der Hand, die da
gelegen hatte, verwischt. Es war, um zu weinen, ohne zu wissen warum. Hätte
sie denken gelernt wie ihr Begleiter, so hätte Tonka in diesem Augenblick
gefühlt, daß die Natur aus lauter häßlichen Unscheinbarkeiten besteht, die so
traurig getrennt voneinander leben wie die Sterne in der Nacht; die schöne
Natur; eine Wespe kroch um seinen Fuß, mit einem Kopf wie eine Laterne,
und er sah ihr zu. Und er sah seinem Fuß zu, der, breit und schwarz, schief in
das Braun eines Weges ragte.
Tonka hatte sich oft davor gefürchtet, daß einmal ein Mann vor ihr stehen
würde und sie nimmer ausweichen könnte. Was ihre älteren Freundinnen aus
dem Geschäft ihr strahlend erzählten, war der langweilige, rohe Leichtsinn
der Liebe, und es empörte sie, daß auch mit ihr jeder Mann zärtlich
einzulenken versuchte, kaum er die ersten Worte hinter sich gebracht hatte.
Wie sie nun ihren Begleiter ansah, gab ihr das mit einem Mal einen Stich; bis
zu diesem Augenblick hatte sie noch nie gefühlt, mit einem Mann in seiner
Gesellschaft zu sein, denn alles war anders. Er hatte sich breit auf beide
Ellbogen zurückgelehnt, und der Kopf lag auf der Brust; fast ängstlich sah
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Tonka
- Title
- Tonka
- Author
- Robert Musil
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.8 cm
- Pages
- 46
- Categories
- Weiteres Belletristik