Page - 28 - in Tonka
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seine Einsamkeit nicht mehr durch Liebreiz gemildert wurde, erst recht
entwaffnend. Er mußte zäh und lauernd sein.
Er hatte sich entschlossen, seine Mutter um Geldhilfe zu bitten. Aber der
Vater lag seit langem zwischen Leben und Sterben, und alles verfügbare Geld
war dadurch gebunden; er konnte es nicht prüfen, wenn er auch wußte, daß
seine Mutter sich vor der Möglichkeit ängstigte, er könnte mit der Zeit Tonka
heiraten wollen. Ja, sie ängstigte sich schon davor, daß andere Heiraten
niemals zustandekommen würden, weil Tonka dazwischen war; und als alles
sich dehnte, die Studien, der Erfolg, die Krankheit des Vaters und die Sorgen
im Haushalt, war näher oder ferner daran Tonka schuld, die nicht bloß als die
erste Ursache unseliger Verkettungen empfunden wurde, sondern geradezu als
ein böses Zeichen, das Unglück vorbedeutete, indem zum erstenmal durch sie
der gewöhnliche Ablauf des Lebens gestört worden war. In Briefen und bei
Besuchen im Elternhaus war diese unklare Überzeugung durchgebrochen, die
im Grunde aus nichts bestand als der Ahnung eines Familienmakels, weil der
Sohn »von so einem Mädchen« sich tiefer binden ließ, als es sonst bei jungen
Männern üblich ist. Hyazinth mußte warnen, und als der Junge, betroffen von
diesem uneingestandenen Aberglauben und an seine eigenen unvernünftigen,
schmerzlichen Erlebnisse erinnert, heftig ablehnte, war Tonka ein
»pflichtvergessenes Mädchen« genannt worden, das den Frieden einer
Familie nicht achtete, und linkische Anspielungen auf »sinnliche Künste«, mit
denen sie ihn »in Banden halte«, kamen mit der ganzen Lebensunerfahrenheit
der anständigen Mütter zutage. – Sie hatten auch jetzt durch die Antwort
geblickt, die er erhielt, als ob jeder Pfennig, solange er ihn mit Tonka
verband, nur seinem Unglück dienen würde. Da entschloß er sich, noch
einmal zu schreiben und sich als Vater von Tonkas Kind zu bekennen.
Als Antwort kam seine Mutter selbst.
Sie kam, »um die Verhältnisse zu ordnen«.
Sie betrat nicht seine Wohnung, als müßte sie fürchten, dort auf
Unerträgliches zu stoßen, und beschied ihn ins Hotel. Eine leichte
Verlegenheit hatte sie mit Pflichtbewußtsein abgeschüttelt und sprach von der
großen Sorge, die er ihnen bereite, von der Gefahr für das Leiden seines
Vaters und von Fesseln fürs Leben; ungeschickt durchtrieben zog sie alle
Bälge des Gemüts, aber ein Ton der Nachsicht, der dabei nicht von den
Worten wich, bewahrte ihr die mißtrauische Neugierde ihres von der
durchschauten Herzenslist gelangweilten Zuhörers. »Denn«, sagte sie, »es
könnte dieser Unglücksfall ja geradezu noch zum Glück ausschlagen, und
man wäre dann« – sagte sie – »mit dem Schreck davongekommen: es gelte
nur, die Zukunft vor der Wiederkehr solcher Ereignisse zu schützen!« Sie
habe deshalb den Vater trotz aller Schwierigkeiten bewogen, eine gewisse
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book Tonka"
Tonka
- Title
- Tonka
- Author
- Robert Musil
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.8 cm
- Pages
- 46
- Categories
- Weiteres Belletristik