Page - 29 - in Tonka
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Summe zu opfern. Man werde damit, eröffnete sie wie eine große Güte, das
Mädchen samt den Ansprüchen des Kindes abfinden.
Zu ihrer eigenen Überraschung fragte ihr Sohn ruhig nach der Höhe des
Angebots, hörte es sich an, schüttelte dann noch ruhiger den Kopf und sagte
bloß: »Es geht nicht.«
Von Hoffnung befeuert, erwiderte sie: »Es muß gehen! Sei nicht
verblendet; viele junge Leute machen ähnliche Dummheiten, aber sie lassen
es sich gesagt sein. Es ist gerade jetzt eine gute Gelegenheit, dich frei zu
machen, lasse sie nicht aus falschem Ehrgefühl ungenützt, du schuldest es dir
und uns!«
»Wieso eine gute Gelegenheit?«
»Gewiß. Das Mädchen wird vernünftiger sein als du; es wird wissen, daß
man solche Verhältnisse immer löst, wenn ein Kind da ist.«
Da verschob er die Antwort auf den nächsten Tag. Es hatte etwas in ihm
gezündet.
Seine Mutter, die Ärzte mit dem Lächeln der Vernunft, das glatte Laufen
der Untergrundbahn am Weg zu Tonka, der Schutzmann mit den festen, das
Chaos regelnden Gebärden, der donnernde Wasserfall der Stadt: das war alles
eins; er stand in dem einsamen Hohlraum darunter – unbenetzt, aber
abgeschnitten.
Er fragte Tonka, ob sie es tun würde.
Tonka sagte: Ja. Fürchterlich zweideutig war dieses Ja. So vernünftig, wie
die Mutter es vorausgesagt hatte, aber um den Mund, der es sprach, zuckte die
Verwirrung.
Da sagte er seiner Mutter ungefragt am nächsten Tag ins Gesicht, daß er
vielleicht gar nicht der Vater von Tonkas Kind sei, daß Tonka krank sei, aber
daß er sich trotzdem eher selbst für krank und den Vater halten wolle, als
Tonka verlassen.
Es lächelte seine Mutter machtlos vor so viel Verblendung, sah ihn zärtlich
an und ging. Er wußte, sie hatte nun den großen Schwung erhalten, ihr Fleisch
und Blut vor dem Makel zu schützen, und ein mächtiger Feind war ihm
verbündet.
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Tonka
- Title
- Tonka
- Author
- Robert Musil
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.8 cm
- Pages
- 46
- Categories
- Weiteres Belletristik