Page - 43 - in Tonka
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Mädchen geworden, das zu freien, Fürsten sich nicht für zu gut gehalten
hätten; aber heute?! Man müßte wohl einmal weitläufig darüber nachdenken.
– So saß er an ihrem Bett, war lieb und gut zu ihr, aber er sprach nie das Wort
aus: ich glaube dir. Obgleich er längst an sie glaubte. Denn er glaubte ihr bloß
so, daß er nicht länger ungläubig und böse gegen sie sein konnte, aber nicht
so, daß er für alle Folgen daraus auch vor seinem Verstand einstehen wollte.
Es hielt ihn heil und an der Erde fest, daß er das nicht tat.
Die Bilder des Spitals quälten ihn. Ärzte, Untersuchungen, Disziplin: sie
war ergriffen von der Welt und auf den Tisch geschnallt. Aber das erschien
ihm fast schon als ein Mangel an ihr; sie mochte wohl etwas Tieferes sein,
unter dem, was mit ihr in der Welt geschah, aber dann müßte auch alles
anders sein in der Welt, damit man dafür kämpfen könnte. Er gab schon etwas
nach, sie war ihm wenige Tage nach der Trennung bereits etwas fern
geworden dadurch, daß er die Fremdheit ihres allzu einfachen Lebens, die er
ein wenig wohl immer mitempfunden hatte, nicht mehr täglich reparieren
konnte.
Und weil er an Tonkas Spitalsbett oft wenig sprach, schrieb er ihr Briefe, in
denen er vieles sagte, was er sonst verschwieg, er schriebihr fast so ernst wie
einer großen Geliebten; bloß vor dem Satz: ich glaube an dich! machten auch
diese Briefe halt. Tonka antwortete nicht, er war ganz verdutzt. Da erst fiel
ihm ein, daß er die Briefe nie abgeschickt hatte; sie waren ja nicht mit
Sicherheit seine Meinung, sondern eben ein Zustand, der sich nicht anders
helfen kann als mit Schreiben. Da merkte er, wie gut er es immer noch hatte,
der sich ausdrücken konnte, und Tonka konnte es nicht. Und in diesem
Augenblick erkannte er sie ganz klar. Eine mitten an einem Sommertag allein
niederfallende Schneeflocke war sie. Aber im nächsten Augenblick war dies
gar keine Erklärung, und vielleicht war sie auch nur einfach ein gutes
Mädchen, die Zeit ging zu schnell, und eines Tages überraschte ihn
fürchterlich die Mitteilung, daß es nicht mehr lange mit ihr dauern würde. Er
machte sich bittere Vorwürfe wegen seines Leichtsinns, der sie nicht genug
geschont hatte, aber da er sie Tonka nicht verbarg, erzählte sie ihm einen
Traum, den sie in einer der letzten Nächte gehabt hatte; denn auch sie
träumte.
Ich hab im Schlaf gewußt, sagte sie, daß ich bald sterben werde, und, ich
kann’s gar nicht verstehen, ich war sehr froh. Eine Tüte Kirschen hab ich in
der Hand gehabt; da hab ich mir gedacht: Ach was, die ißt du vorher schnell
noch auf! …
Und am nächsten Tage durfte er Tonka nicht mehr sehen.
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Tonka
- Title
- Tonka
- Author
- Robert Musil
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.8 cm
- Pages
- 46
- Categories
- Weiteres Belletristik