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Spätjansenismus in Österreich
nisse des Staates. Für eine Neuordnung aber konnte
das Gedankengut der Aufklärung und des Jansenismus
sehr gute Dienste leisten. Der Jansenismus hatte sich
in Österreich zu einer politisch-religiösen Bewegung,
eben zum Spätjansenismus entwickelt. Die theologi-
sche Grundlage der augustinischen Gnadenlehre stand
nicht mehr vordergründig zur Diskussion, sie wurde
von den praktisch-theologischen Konsequenzen ver-
drängt. Der moraltheologische Rigorismus drückte sich
in den Vorschriften für ein asketisches, sittenstrenges
und arbeitsames Leben aus. Die augustinisch-urkirch-
lichen Ideale reduzierten den Glauben auf ein konse-
quent antipäpstliches und antikuriales Denken sowie
auf eine apostolisch verstandene Kirche, in der Papst,
Bischöfe und Pfarrer gleichermaßen ihre Macht von
Gott erhielten. Diese Art von Jansenismus war seit den
20er-Jahren des 18. Jh.s in fortschrittlichen Zirkeln zu-
sammen mit einer möglichen katholischen Aufklärung
diskutiert worden. Am Germanicum in Rom studierten
die zukünftigen österreichischen Bischöfe. Sie wurden
in diese Diskussion mit einbezogen und brachten die-
ses Gedankengut nach Österreich. Hinzu kamen die
italienisch-österreichischen personellen Beziehungen
(z. B. Antonio Ludovico Muratori 1672–1750), die
im 18. Jh. sehr lebhaft und eine weitere Quelle für die
Verbreitung des Jansenismus und Reformkatholizis-
mus waren. Zudem war in der Kaiserfamilie eine phi-
lojansenistische Prädisposition vorhanden, so dass der
Spätjansenismus gute Voraussetzungen für seine Ver-
breitung fand. Als in den 50er-Jahren des 18. Jh.s die
Notwendigkeit einer Kirchenreform durch den Staat
immer offensichtlicher wurde, konnte man bereits auf
die antikurialen Elemente des Spätjansenismus ebenso
wie auf die reformkatholischen Bestrebungen des auf-
geklärten Klerus anknüpfen. Waren die theresianischen
Reformen noch mit einem gemäßigten Spätjansenis-
mus ausgekommen, so hat der Josephinismus den sich
im Praxisbezug immer mehr radikalisierenden Janse-
nismus zusammen mit einer gelenkten begrenzten Auf-
klärung, die auf die Bedürfnisse der Staatsraison zuge-
schnitten wurde, dazu benützt, um die österreichische
Kirchenreform in eine Staatskirche münden zu lassen.
Der Spätjansenismus wird in seiner Symbiose mit dem
→ Josephinismus auch in den slowenischen Ländern
eingeführt. Dass er für die Slowenen eine ganz beson-
dere kulturpolitische Bedeutung erlangte und zeitlich
viel länger wirksam blieb, ist einem besonderen Um-
stand zuzuschreiben : 1773 wird Johann Karl Graf von
→ Herberstein, der radikalste unter allen spätjanse- nistischen Bischöfen und rückhaltloser Verfechter des
Josephinismus, zum Bischof von → Ljubljana ernannt.
Hier aber wird der Spätjansenismus von der sloweni-
schen Wiedergeburtsbewegung in ihre Bemühungen
eingebaut und erhält damit eine zusätzliche nationale
Dimension (→
Preporod). Diese kulturpolitisch natio-
nale Dimension ist es, die dazu führt, dass er in den
slowenischen Ländern (hauptsächlich in der Diözese
→ Ljubljana, aber durch Jurij Japelj auch in Kärnten/
Koroška) um Jahrzehnte länger wirksam bleibt als im
übrigen Österreich. Dabei sind die praktischen Re-
formen des Spätjansenismus, die den Untertanen auf
das ora et labora beschränken, sekundär. Von primärer
Bedeutung für die slowenische nationale Wiederge-
burt sind die Auswirkungen des spätjansenistischen
Bildungsinteresses, seine Kultur des gedruckten Wor-
tes. Der Corpus der jansenistischen Bücher von Port
Royal wird nachgedruckt und übersetzt, die Gläubigen
werden in die Liturgie einbezogen und sollen die Bibel
lesen, und zwar in der ihnen verständlichen Volksspra-
che (→ Liturgiesprache). Bischof Herberstein be-
auftragt seinen bischöflichen Notar Jurij Japelj mit der
Leitung und Organisation der Übersetzung des gesam-
ten jansenistischen Buchprogramms ins Slowenische.
Eine ganze Reihe junger Hofkapläne hat die Aufgabe,
unter Jurij Japeljs Leitung den jansenistischen Buch-
corpus ins Slowenische zu übersetzen. Die Übersetzung
dieser Bücher aus dem Französischen (z. T. auch aus
dem Deutschen, sofern sie bereits in deutscher Über-
setzung vorlagen) war für die Slowenen nicht nur eine
philologische Herausforderung, sie war zugleich eine
Bestätigung ihrer nationalen Identität. Diese ins Slo-
wenische übersetzten jansenistischen Bücher erfuhren
eine Vielzahl von Neuauflagen und erfüllten mehrere
Funktionen : einerseits dienten sie der Verbreitung des
jansenistischen Gedankengutes, andererseits bewirkten
sie die Auseinandersetzung mit den sprachlichen Prob-
lemen der slowenischen Schriftsprache und erreichten
ein großes Lesepublikum (→ Standardsprache). Die
Übersetzung Jurij Golmayers von François Phil-
ippe Mesenguys (1677–1763) Exercises de piété tirée
de l’Ecriture sainte et de pères de l’Eglise (Sveta maša ino
krščansko premišljevanje za vsak dan iz sv. pisma) er-
fuhr 18 Ausgaben zwischen 1783 und 1839. Matevž
→ Ravnikar (1802–1864) hat das Buch ab der 12.
Ausgabe jeweils sprachlich geschliffen. Übersetzt
wurde der Bibelkommentar von Antoine Arnauld
(1612–1694) De la lecture de l’Ecriture sainte, ebenso
Antoine Arnaulds La conversion du pêcheur, le directeur
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 3 : PO - Ž
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 566
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602