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Volksabstimmung, Kärntner
den deutsch-Kärntner Parteien aus : Sie beschlossen
am 5. Dezember 1918 einstimmig, sich den weiteren
slowenischen (jugoslawischen) militärischen Vorstößen
zu widersetzen und am 19. Februar 1919, nach dem
Besuch der amerikanischen Miles-Delegation, ganz
Kärnten/Koroška für die Republik Deutschösterreich
zu beanspruchen. Die divergierenden Positionen hin-
sichtlich der Demarkationslinie hatten nämlich zum
Stillstand bei den Verhandlungen geführt. Die Öster-
reicher traten in direkten Kontakt mit der amerikani-
schen Kommission, die in Wien unter der Leitung von
Archibald C. Coolidge stand. Er hatte die Aufgabe,
für die USA die ethnischen Verhältnisse in Mitteleu-
ropa zu erforschen. Mit der Zustimmung aller an den
Verhandlungen Beteiligten, dass die amerikanischen
Mitglieder der Kommission unter der Leitung von
Sherman Miles die Situation vor Ort erkunden und
eine neue Demarkationslinie festlegen sollten, hatte
Österreich einen diplomatischen Erfolg mit unerwar-
teten Folgen aufzuweisen. Das Resultat der Arbeit der
genannten Kommission war, dass die amerikanische
Friedensdelegation nunmehr die Position einer Einheit
des Klagenfurter Beckens vertrat.
Die Entscheidung der Friedenskonferenz für eine
Volksabstimmung in Kärnten/Koroška war die Folge
der nicht gelösten Frage der Grenzziehung zwischen
den neuentstandenen Staaten auf dem Territorium der
ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie, d. h.
dem Königreich SHS und der Republik Deutschöster-
reich. Da die Frage der Grenzziehung weder mit einem
bilateralen Abkommen noch im Zuge des Grenzkon-
fliktes zwischen der slowenischen/jugoslawischen und
der österreichischen Seite gelöst worden war, entschied
darüber die Friedenskonferenz. So hatte die militärisch
erfolgreiche jugoslawische Offensive »im Kampf für
die Nordgrenze« im Mai und Anfang Juni 1919 kei-
nen Einfluss auf den Grundsatzbeschluss Ende Mai
1919 der Friedenskonferenz über die Abhaltung einer
Volksabstimmung. Wahrscheinlich hat die Offensive
jedoch dazu beigetragen, dass der Rat der Vier am 4.
Juni 1919 die jugoslawische Forderung nach der Tei-
lung des Volksabstimmungsgebietes in zwei Zonen
aufnahm. Erst damit bot die Volksabstimmung eine
reale Alternative für die → Abstimmungszone A. Die
Teilung verhinderte, dass die Deutschen allein über das
Schicksal der Kärntner Slowenen entschieden. Wegen
der Haltung der USA, die von ihrer ursprünglichen Po-
sition einer Teilung entlang der Drau/Drava abgekom-
men war, sowie des Interesses Italiens, das umstrittene Gebiet in Kärnten/Koroška bedingungslos Österreich
zuzusprechen und so eine Einheit des Klagenfurter Be-
ckens/Celovška kotlina zu ermöglichen, sowie dank der
Haltung des Vereinigten Königreiches Großbritannien
und Frankreichs, die ihre ursprüngliche Zustimmung
zur Teilung des Landes aufgegeben hatten und nun
gewillt waren, dem amerikanischen Vorschlag zur Ab-
haltung einer Volksabstimmung zu folgen, erhielt nun
Österreich, das bereits die sudetendeutschen Gebiete
aufgeben musste, die reale Möglichkeit, Südkärnten/
Južna Koroška zu behalten. Den Einwohnern dieses
Gebietes wurde es überlassen, sich »frei zwischen ih-
ren wirtschaftlichen und ihren nationalen Interessen zu
entscheiden« bzw. »ob sie die Landeseinheit behalten
wollen« oder ob es zu einer Vereinigung mit dem Kö-
nigreich SHS kommen solle. Die jugoslawische Ter-
ritorialforderung wurde nur bei der Bestimmung des
Abstimmungsgebietes berücksichtigt.
Die Zone A hatte laut Volkszählung 1910 73.488
Einwohner, 50.837 oder 69,18 % hatten Slowenisch
als →
Umgangssprache angegeben. Nach den Bestim-
mungen des Friedensvertrags wurde all jenen Personen
ein Wahlrecht eingeräumt, die am 1. Dezember 1919
ein Alter von 20 Jahren erreicht hatten, ihren ständi-
gen Wohnsitz im Volksabstimmungsgebiet hatten oder
dort geboren worden waren, oder die vor dem 1. Jän-
ner 1912 hier ihren ständigen Wohnsitz oder ein Hei-
matrecht hatten. Entscheidend war die Mehrheit der
abgegebenen gültigen Stimmen, unabhängig von den
Ergebnissen in den einzelnen Gemeinden. Der Kom-
promissvorschlag der jugoslawischen Seite, wonach das
Endergebnis der Volksabstimmung die Ergebnisse der
einzelnen Gemeinden berücksichtigen sollte, wurde
nicht angenommen, obwohl sich im August 1919 selbst
die österreichische Seite dafür ausgesprochen hatte.
Dies und einige weitere Aktionen beider Seiten zeigten
die Unsicherheit hinsichtlich der Erwartungen über das
Endergebnis der Abstimmung. Nimmt man die Ergeb-
nisse der Volksabstimmung her, so hätte dies bedeutet,
dass das Gebiet südlich der Drau/Drava dem König-
reich SHS zugesprochen worden wäre. Auf österrei-
chischer Seite diskutierte man in den Monaten vor der
Volksabstimmung auch über die Möglichkeit bilateraler
Absprachen für den Fall, dass das Ergebnis nicht aus-
reichend eindeutig für Österreich ausfallen würde (z. B.
weniger als 60 %). Der tatsächliche Sieg führte dazu,
dass Österreich nach der Volksabstimmung den jugo-
slawischen Vorschlag über eine Grenzziehung unter
Berücksichtigung der Ergebnisse in den Gemeinden
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 3 : PO - Ž
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 566
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602