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Implizite Abreden, Vertragsgenese und ergänzende Vertragsauslegung
Findet sich demgegenüber keine konkrete Vertragsabrede, wie dies in den
meisten Konstellationen der Fall sein wird, so kann zunächst in der Ver-
tragsgenese mit Blick auf vorausgesetzte Erwartungen und implizite Risi-
kozuweisungen versucht werden, das vertragliche Gefüge weitergehend zu
interpretieren, insbesondere unter Berücksichtigung von Vorverhandlun-
gen14 und Heranziehung der Vertragshistorie15. Hierfür wird es in den
meisten Fällen kaum Anhaltspunkte geben, da solcher Art Extremsituatio-
nen, werden sie ernsthaft bedacht, auch mit einer konkreten Vereinbarung
versehen sind.16 Eine Ausnahme mag insbesondere im Gesellschaftsrecht
mit Blick auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht zu diskutieren sein.17
Oder es wird eine ergänzende Vertragsauslegung nach den Grundsätzen
des §157 BGB erwogen. Eine Diskussion um diese würde jedoch schon im
Hinblick auf die höchst umstrittene Handhabung und Reichweite dieses
Instruments18 problemlos eine eigenständige Abhandlung füllen, so dass
an dieser Stelle nur auf folgende Erwägung hingewiesen sei: Ergänzende
Vertragsauslegung, die sich außerhalb des extrapolationsfähigen Parteiwil-
lens bewegt,19 ist kritisch zu betrachten.20 Soll hierdurch aber die Risiko-
zuweisung bei Veränderung externer, das Vertragsgefüge weitreichend er-
2.
14 BGHZ 109, 19 (22f.) = NJW 1990, S.441; BGHZ 63, 359 (362) = NJW 1975,
S.536.
15 BGH NJW-RR 2003, S.926f.
16 Dies zeigt sich insbesondere bei den bereits angeführten Force majeure – Klau-
seln.
17 Vgl. T. Finkenauer, in: MüKo BGB, Bd. 3, 8.Aufl., München 2019, §313 Rn.176
mwN. Insbesondere in der Diskussion um die wechselseitige Rücksichtnahme bei
besonders engen Gesellschafterbeziehungen (allem voran bei Familienunterneh-
men) sticht die Treubindung hervor, vgl. J. Prütting/P. Schirrmacher, Die Ausle-
gung von familiengesellschaftsbezogenen Rechtsgeschäften, ZGR 2017, S.829
(835ff., 849f.); J. Prütting, Sicherung des Familieneinflusses durch Familienverträ-
ge, in: K. Lange/K. Windhorst (Hrsg.), Sicherung des Familieneinflusses in Fami-
lienunternehmen, Baden-Baden 2017, S.35ff.
18 Vgl. hierzu J. Busche, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8.Aufl., München 2018, §157
Rn.38ff.; W. Wendtland, in: BeckOK BGB, 53. Ed, München 2020, §157 Rn.28ff.
19 Daher auch die eingehende Bestimmung und Leitung ergänzender Vertragsausle-
gung am hypothetischen Parteiwillen, vgl. BGHZ 77, 301 (304) = NJW 1980,
S.2347; BGHZ 40, 91 (103) = NJW 1963, S.2071.
20 Vgl. hierzu BGHZ 16, 71 (77) = NJW 1955, S.337; BGH NJW-RR 1989, S.1490f.;
1991, S.1031 (1033); BGH NJW 1982, S.2190f. Weder Vertragsgegenstand noch
wesentliche Pflichtenspektren dürfen sich durch ergänzende Vertragsauslegung
ändern. Eine exakte Grenze dürfte kaum allgemeingültig zu bestimmen sein.
Jens Prütting
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
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