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nahe, dass hier jeder Fuß breit Boden umstritten ist.29 Allerdings wird sich
nach heutiger Gesetzeslage nicht wegdiskutieren lassen, dass über den Be-
reich ergänzender Vertragsauslegung hinaus30 bei Erfüllung des Tatbestan-
des des §313 Abs.1, 2 BGB eine Lastenverteilung in das Zivilrecht ge-
bracht worden ist, welche für die Parteien wie eine außergewöhnliche
Form wechselseitiger Versicherung wirkt. Da es jeden Vertragsteil weithin
willkürlich hätte treffen können, legitimiert sich das partielle Einreißen
privatautonom vereinbarter Inhalte unter Aufzwingen neuer Verhältnisse
von Leistung und Gegenleistung doch wieder aus der Vertragstreue,31 da
solcher Art Nachverhandlung und Anpassung Ausdruck besonderer und
situationsadäquat beidseitig nachvollziehbarer Rücksichtnahme ist.32 Diese
Überlegung ist auch dogmatisch unter Distanzierung vom Einzugsbereich
des §157 BGB treffender alloziert, da die Parteien es sich gefallen lassen
müssen, auch entgegen ihres anfänglich geäußerten Willens einen noch zu
verhandelnden oder notfalls richterlich zu bestimmenden Leistungsaus-
tausch zu akzeptieren.
Perspektiven
Bevor im Folgenden (C.) Detailfragen behandelt werden, sollen die obigen
Grundsatzerwägungen noch um ein paar Gedanken zu möglichen Per-
spektiven ergänzt werden, wie §313 BGB im System des zivilrechtlichen
Vertragsrechts verstanden werden kann.
Die Mikroebene
Ausgangspunkt ist der singuläre Vertrag, wie dieser sich in der konkreten
Situation mit der eingetretenen Äquivalenzstörung darstellt und nach dem
Vertragswerk und dem Gesetzesrecht zu bewerten ist. §313 BGB kann in
dieser Perspektive die Funktion haben, eine Überprüfung der versproche-
B.
I.
29 Das hat auch der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung gesehen, vgl. BT-
Drucks. 14/6040, S.174.
30 Strikt dagegen T. Finkenauer, Ergänzende Auslegung bei Individualabreden, AcP
213 (2013), S.619 (643ff.).
31 Näher M. Weller, Die Vertragstreue, Tübingen 2009, S.277ff.
32 Die Nähe zur Normgenese aus Treu und Glauben sowie die Nähe zum heutigen
§241 Abs.2 BGB sind erkennbar.
Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf Vertragsstörungen?
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
- Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise –Ausweitung oder Einschränkung? 73
- Die vertragsrechtlichen Regelungen in Art.240 EGBGB: Voraussetzungen, Rechtsfolgen, offene Fragen 95
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